: DAUMENKINO
„Energy Autonomy“
Kleine Gewissenserforschung: Läuft der Fernseher daheim gerade auf Standby? Ist die 100-Watt-Birne im Bad schon ausgetauscht worden? Fragen dieser Art sind heute nicht mehr trivial, denn jedes Kilowatt Strom gehört inzwischen zu einer Ökobilanz, aus der sich errechnet, ob und wie der Planet Erde und seine Bewohner, also wir, es noch schaffen, den Kollaps abzuwenden.
Der Strom kann nicht länger einfach aus der Steckdose kommen. Strom kommt entweder aus einem Grundlastkraftwerk, in dem Energiekonzerne fossile Ressourcen verfeuern (wenn sie nicht Atomkerne zerlegen) und damit die Renditen ihrer Investoren befeuern. Oder aber Strom kommt aus dezentraler Produktion und von natürlichen Ressourcen: Sonne, Wind, Erdwärme. Zwar sind auch Öl und Gas natürliche Ressourcen, aber die sind ungleichmäßig verteilt, deswegen verdienen die Opec und Russland und andere korrupte Regimes daran.
So einfach ist die Alternative, sie steht sperrangelweit offen wie das Fenster der Gelegenheit für eine Energiewende, und durch dieses weit offene Fenster kommt nun mit Macht der Film „Die 4. Revolution – Energy Autonomy“ von Carl-A. Fechner. Seit den russischen Agitpropfilmen für die sozialistische Elektrifizierung ist vom Strom nicht mehr mit ähnlicher Emphase gesprochen worden, aber was damals noch gigantomanischer Industrialisierung Vorschub leisten sollte, kommt heute aus einer dezentralen, flexiblen Energieversorgung. Die Dänen machen es vor, die Afrikaner machen es nach, überall stellt Carl-A. Fechner die Kamera auf und filmt Dampfkessel, Windräder, Sonnenkollektoren und zwischendurch immer wieder Hermann Scheer, den in Deutschland einschlägigen Guru. Fatih Birol, ein angemessen dekadent wirkender Bürokrat bei der Internationalen Energieagentur in Paris, formuliert den überholten Standard der alten Energiewirtschaft.
„Die 4. Revolution – Energy Autonomy“ ist von der guten Sache so begeistert, dass Carl-A. Fechner für die Fragen keine Zeit mehr hat, aus denen dokumentarisches Kino entstehen würde: Gibt es vielleicht auch im Zuge dieser 4. Revolution noch offene Fragen, sind einzelne Verfahren anderen vorzuziehen, muss wirklich das strombetriebene Sportfahrzeug die Mobilität der Zukunft repräsentieren? Politische Öffentlichkeit beginnt dort, wo pauschale Euphorie der Konzentration auf konkrete Umsetzung weicht. Fechner verkauft pauschale Euphorie in Form einer PR-Ästhetik, die blind ist für die Politik der Energieversorgung. BERT REBHANDL
■ „Die 4. Revolution – Energy Autonomy“. Regie: Carl-A. Fechner. Deutschland 2009