: Globalisierte Dickerchen
Jeder dritte Sumotori der Spitzenklasse kommt aus dem Ausland. Bester seines Fachs ist der Mongole Asashoryu. Selbst ein Este unterwirft sich dem strengen Ritus des japanischen Zweikampfs
AUS TOKIO MARCO KAUFFMANN
Außerhalb des Ringes rast ein 130-Kilo-Mann in einer Art Lendenschurz auf den fiktiven Gegner zu. Ein anderer schlägt mit den Handflächen gegen einen Holzklotz. Im Ring üben die Sportler den Zweikampf. Sie stöhnen und schwitzen. Ihre Rücken dampfen. Im ungeheizten Sumostall von Mihogaseki Shosh wird frühmorgens schon trainiert. Baruto, der einzige Ausländer, lockert die Handgelenke und stemmt mit seinem 160-Kilo-Körper Gewichte. Mit dem Einstieg in die japanische Sumowelt legte Kaido Hoovelson seinen bürgerlichen Namen ab und nahm den Kämpfernamen Baruto an – der Balte. In Rekordtempo schaffte es der aus Estland stammende Judoka in den Kreis der Sekitori-Kämpfer.
Mit einem Sieg im Sumo-Ring habe Gott Takemikazuchi vor Urzeiten die Existenz Japans gesichert, lautet die Legende. Und auch heute ist Sumo mehr als ein Sport: eine jahrhundertealte Tradition, eingebunden in die Rituale der japanischen Shinto-Religion. Da Japan als einziges Land eine Profiliga für die Kämpfe der dicken Männer kennt, wurden zunehmend Sportler mit nichtjapanischem Pass angelockt. Seit 1995 hat sich die Zahl der Ausländer verdreifacht. In den drei obersten Rängen dieser streng hierarchischen Kampfdisziplin kommt beinahe jeder Dritte aus dem Ausland. Japans letzter Großmeister ging 2003 in Pension, an der Spitze der Profiliga thront der Mongole Asashoryu. Die ersten Ausländer kamen in den 60er-Jahren, aus Hawaii, von Inseln im Südpazifik und aus der Mongolei. Nun sind es Russen, Bulgaren oder Esten, die die Japaner aus dem Ring drängen. Weiße Europäer mit blonden Haaren sind ein Blickfang im schwarzhaarigen Japan.
Nach einer Stunde steigt Baruto in den sandigen Ring. Auch er trägt nur einen Mawashi, einen neun Meter langen Baumwollgürtel, der um die Hüfte geknüpft wird. Die niederrangigen Kämpfer treten gegen den Star im Stall an. Jetzt erst legt Trainer und Stallbesitzer Mihogaseki Shoshu die Zeitung zur Seite. Den ersten Gegner schleudert Baruto innerhalb von Sekunden aus dem Bastring, den zweiten legt er mit der Technik Kotenage in den Sand. Nummer drei, ein für Sumo-Dimensionen schmächtiger Jüngling, verkrallt sich in Barutos Bauchgegend, bis ihn der zwei Meter lange Hüne aus dem Ring hievt und abschüttelt wie ein lästiges Insekt.
Die Ausländer hätten längere Arme und seien daher erfolgreicher als die Japaner, bekam Baruto schon zu hören. Schwerer wiegt die Kritik aus traditionsbewussten Verbandskreisen, die Ausländer seien nur der lukrativen Profigehälter wegen in Japan und scheren sich nicht um die kulturellen Traditionen des Sumo. Erreicht ein Kämpfer die zweithöchste Liga, hat er nicht nur Anspruch auf ein eigenes Zimmer im Sumostall. Er erhält auch ein festes Salär des Sumoverbandes. Monatlich verdient er umgerechnet ungefähr 6.500 Euro, Preisgelder und Werbeverträge nicht eingerechnet. Ein erfolgreicher Großmeister kommt auf ein Basisgehalt von etwa 20.000 Euro. „Andere Werthaltungen können japanische Traditionen auslöschen“, zitierte die konservative Zeitung Yomiuri ein hochrangiges Mitglied des japanischen Sumoverbandes. Dessen Präsident verteidigt allerdings den Öffnungsprozess: „Sumo wird, wie das sonstige Japan, globaler. Das passt nicht allen, ist aber unvermeidlich.“ Dennoch gilt in den 50 Sumoställen der Profliga eine Quotenregelung: nicht mehr als ein Ausländer. Und als Stallmeister – nur sie dürfen Sumoringer ausbilden – sind einzig Japaner zugelassen.
Der Unterlegene steht mühsam auf, den Rücken mit Sand verklebt. Demütig holt er eine Kelle Wasser für Baruto und verbeugt sich. Ein Gehilfe eilt mit einem Frotteetuch vorbei, womit Baruto seinen Schweiß vom blonden Haupt abtupft.
Zum kontroversen Thema wurde Barutos blonde Haarfarbe im letzten Herbst nach seiner Ernennung zum Sekitori-Kämpfer. Ab diesem Rang werden die Haare eines Sumo zu einem Knoten in Form eines Ginko-Blattes frisiert. Nur: Einen blonden Knoten hatte es in hunderten von Sumo-Jahren noch nie gegeben. Sollte man Baruto nun einschwärzen? Sumofans hätten dies im Internet simuliert, erzählt der blonde Este. „Es sah grässlich aus.“ Die große japanische Zeitung Asahi Shimbun hingegen befand, es wäre „unhöflich“, Baruto und all die Russen, Tschechen und Brasilianer zu zwingen, die japanische Haarfarbe anzunehmen, zumal sie hart gearbeitet hätten, sich mit der japanischen Sprache und Kultur vertraut zu machen.
Stallmeister Mihogaseki rühmt Barutos Japanisch-Fortschritte. „Als ich ihn vor zwei Jahren engagierte, verständigten wir uns nur mit Handzeichen.“ Doch bezüglich der kulturellen Traditionen sei noch viel aufzuholen, sagt der Meister. Konkret? „Er muss die Regeln und Umgangsformen im Sumo noch besser kennen lernen und den Respekt für höhere Ränge verinnerlichen – nur so entsteht ein richtiger Sumo-Gentleman.“
Auch von den Ringern der Spitzenklasse wird ein bescheidenes Auftreten erwartet. Harsche Kritik erntet, wer wie der mongolische Großmeister Asashoryu statt im Minibus des Sumostalls in der eigenen Limousine zum Turnier vorfährt.
Baruto, seinen massiven Körper nach dem Training eingewickelt in einen blauen Kimono, sagt diplomatisch, die Sitten und Gebräuche im japanischen Sumo seien „sehr speziell“. Er musste sich in seinem Sumostall, einem Betonbau, in dem die Kämpfer trainieren und wohnen, erst hochdienen. „Den älteren Ringern die Kleider und den Rücken waschen, Toiletten putzen, keine Partys – es war ein Schock“, erinnert sich der ehemalige Judoka und verzieht den Mund. Nun irritieren ihn die Respektbezeugungen, die ihm die Kämpfer der unteren Ränge entgegenbringen. Es sei ihm unwohl, wenn sich die Kollegen vor ihm verbeugen, das Training unterbrächen, um ihn höflichst zu begrüßen. „Manche Sumo-Traditionen verstehe ich auch nach zwei Jahren nicht, aber was soll’s. Ich will gewinnen und an die Spitze.“