: Melancholie lässt sich wegtanzen
My House is Your House – Labels in Berlin (VI): „Vom Herzen in den Hintern“ ist der Slogan der Gebrüder Teichmann, die sich seit ihrer Zeit als Kinderpunkband in Regensburg beim Thema Musik gerne ins Wort und in den Track fallen
Andi und Hannes Teichmann sind vieles: Musiker, DJs, House-Produzenten und Labelmacher. Und als Gesprächspartner können sie ebenfalls ein bisschen viel sein. Während ich zwischen ihnen sitze und zuhöre, pendelt mein Kopf in Tenniszuschauermanier immer wieder von links nach rechts. Kein Wunder, dass es mir gelegentlich vorkommt, als sei ich Stichwortgeber für ihren Schlagabtausch. „Es ist nicht nur so, dass wir zu zweit sind, wir sind auch noch Brüder“, bringt Hannes die Sache auf den Punkt. Sie fallen sich gern ins Wort.
Die Gebrüder Teichmann, wie sie sich nennen, kommen aus Regensburg. Dort gründeten sie im Alter von 12 und 9 Jahren eine „Kinderpunkband“. Seit 1996 spielen sie in der Indierockband beigeGT, Andi als Schlagzeuger und Hannes am Moog-Synthesizer: „Ich bin da der moderne Flötist.“ Ihr bisher größter Hit war ironischerweise „Knights of the Jaguar“, die Coverversion einer Techno-Hymne von Underground Resistance.
Hannes, der jüngere der beiden, interessierte sich schon früh für House-Musik und schaffte es, auch Andi zu begeistern. Vor sechs Jahren gründeten sie zusammen mit den Regensburger Gastronomen Karin Grießbeck und Johann „Che“ Schlegl ihr Label Festplatten – als Plattform für sich und ihre Freunde. Seit Hannes 2001 nach Berlin zog, ist das Festplatten-„Büro“ Teil seines Wohnzimmers in einer Friedrichshainer WG. Über dem Sofa reihen sich stolz die 31 eigenen Veröffentlichungen.
Den größten Teil der Arbeit erledigen die Brüder selbst. Eingesandte Demos werden bei ihnen nur sehr selten veröffentlicht, in der Regel kennen sie ihre Musiker schon vorher. Was bei ihnen erscheint, beschreiben die beiden in erster Annäherung als „tanzbar und funky“. Hannes hat dafür einst den Slogan „Vom Herzen in den Hintern“ geprägt, der, wie er sagt, „leider auch fehlinterpretiert werden kann.“ Mittlerweile hat sich das Label aber musikalisch geöffnet. Das zeigt nicht zuletzt Andis erstes Soloalbum „Fades“, auf dem er seine Berliner „Anfangsdepressionen“ nach dem Umzug 2004 verarbeitet. Die Stücke sind überwiegend melancholisch, vereinzelte minimale Tanznummern gibt es ebenso wie Songs mit Gitarre und Gesang.
Melancholie hin oder her: Humor wird bei den Brüdern groß geschrieben, für kaum einen Kalauer sind sie sich zu schade. Als die erste Festplatten-Veröffentlichung des Minimal-House-Produzenten Benjamin Wild anstand, sagten die beiden zu ihm: „Deine Platte muss unbedingt ‚Born to be .‘ heißen. Das fand er nicht so lustig“, berichtet Hannes. „Aber er hatte keine Chance“, merkt Andi trocken an. „Born to be .“ ist mittlerweile vergriffen.
Obwohl die Brüder in der House-Szene längst international bekannt sind, tun sich manche DJs mit ihren Veröffentlichungen schwer. „Wir haben kein klares Profil, bei uns ist ‚tanzbar‘ ein sehr vielseitiger Begriff“, beschreibt Hannes die Situation. Ihre „Kernkünstler“ – Markus Müller, Leo Cubanero und Raumagent Alpha – bringen denn auch sehr eigene verspielte Versionen von House zu Gehör, deren verbindendes Element vielleicht nur der trocken warme Sound ist.
Andi erklärt die Verschiedenartigkeit so: „Festplatten ist dadurch anders, dass wir als DJs nicht so straighte Sets spielen. Die Veröffentlichungen geben das wieder. Ein Abend muss unterschiedliche Stimmungen und Geschwindigkeiten haben.“ Tanzbarkeit und musikalischer Anspruch sollen sich immer die Waage halten.
Seit der Gründung trägt sich das Label „einigermaßen, mit einem kleinen Loch“, sagt Hannes grinsend. Weil sich mit ihren Schallplatten aber eben doch nicht viel Geld verdienen lässt, hoffen sie, bald durch das MP3-Geschäft ausgleichen zu können. Sie setzen dabei auf ihren Vertrieb Kompakt, dessen MP3-Angebot einen breiteren Kundenkreis anspricht, zum Beispiel im ehemaligen Ostblock, wo es keinen Markt für Vinyl gibt, weil allein die Transportkosten für Schallplatten schon zu hoch sind. Hoffen und in das kleine Loch wirtschaften – solange sich das nicht ändert, werden die Gebrüder Teichmann weiter auflegen in den Berliner Clubs, zum Überleben und um sich gegenseitig zur Abwechslung mal in den Track zu fallen.
TIM CASPAR BOEHME