piwik no script img

Archiv-Artikel

Eine Strategie gegen die ausufernde Gewalt

PAKISTAN Am Dienstag wird in dem asiatischen Land ein neuer Präsident gewählt. Seine Macht ist zwar beschränkt, aber dennoch von hoher Symbolik. Er soll die Einheit fördern und der Gewalt entgegentreten

Inhalte, die extremistisches Gedankengut befördern, sollen korrigiert werden

VON SASCHA ZASTIRAL

BANGKOK taz | Nur wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl am Dienstag sind in Pakistan Dutzende Menschen bei Bombenanschlägen getötet worden. Der schwerste Vorfall ereignete sich in Kurram, einer überwiegend schiitischen Region im Grenzgebiet zu Afghanistan. Dort haben Selbstmordattentäter am Freitag bei zwei Anschlägen mindestens 57 Menschen getötet, 180 weitere wurden verletzt. Im Verlauf des Wochenendes kam es zu mindestens drei Anschlägen, bei denen zehn Menschen getötet wurden.

Die Präsidentschaftswahl am Dienstag gilt indessen als ausgemachte Sache. Denn in dem Wahlkollegium, das den Präsidenten bestimmen wird, verfügt die Pakistanische Muslimliga (Nawaz, PML-N) über eine komfortable Mehrheit. Es besteht aus Mitgliedern des Ober- und Unterhauses sowie den Abgeordneten der vier Provinzparlamente. Daher dürfte Mamnoon Hussain, der Kandidat der PML-N, aus der Wahl als Sieger hervorgehen.

Die Pakistanische Volkspartei (PPP), die bei den Parlamentswahlen im Mai eine herbe Niederlage erlitten hat und die Regierungsgeschäfte an die PML-N abgeben musste, boykottiert die Wahl zum Präsidenten. Sie hat ihren Kandidaten kürzlich zurückgezogen, nachdem das oberste Gericht des Landes auf Anfrage der PML-N die Wahl um eine Woche nach vorn verlegt hatte.

Das Amt des Präsidenten ist in Pakistan weitgehend zeremoniell. Jedoch geht allein schon von der Auswahl des Kandidaten der PML-N eine Botschaft aus: Mamnoon Hussain ist ein Geschäftsmann aus der südlichen Provinz Sindh, der Machtbasis der PPP. Das dürfte ein Zugeständnis sein. Denn weite Teile der Macht sind in Pakistan auf den Punjab konzentriert, Nawaz Sharifs Heimatprovinz. So möchte Sharif offenbar verhindert, dass die Provinzen des Landes weiter auseinanderdriften.

Es dürfte Sharif deutlich den Rücken stärken, wenn er einen Verbündeten im Präsidentenamt weiß. Pakistans bisheriger Präsident Asif Ali Zardari gilt als gewandter Taktierer, der hinter den Kulissen energisch die Strippen zieht und so auf viele Entscheidungen der früheren Regierung eingewirkt hat.

Jedoch haben immer stärkere Versuche der Justiz, gegen Zardari vorzugehen, seinen Einfluss eingeschränkt. Im eigenen Land war Zardari ohnehin nie beliebt. Viele Pakistaner haben bei den Parlamentswahlen 2008 aus Anteilnahme mit der ermordeten ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto – die während des Wahlkampfs bei einem Bombenanschlag getötet worden war – der PPP ihre Stimme gegeben. Als später Bhuttos Witwer und De-facto-Chef der PPP Zardari zum Präsidenten gewählt wurde, waren viele Pakistaner entsetzt.

Zardari hatte in Pakistan schon damals einen miserablen Ruf, nicht zuletzt wegen der vielen Korruptionsvorwürfe, die gegen ihn bis heute bestehen. Während seiner Amtszeit hat Zardari fast das ganze Land gegen sich aufgebracht, als er sich mitten in der schweren Flutkatastrophe 2010 auf eine Europareise begeben hat. Jedoch rechnen es ihm viele seiner Landsleute hoch an, dass er schon früh bereitwillig die Befugnisse des Präsidenten stark eingeschränkt hat. Sein Amtsvorgänger, der Militärmachthaber Pervez Musharraf, hatte die Befugnisse des Präsidenten massiv ausgebaut.

Gestärkt durch einen Präsidenten aus seinem Lager dürfte sich Sharif schon bald Pakistans vielleicht schwerwiegendstem Problem zuwenden, der terroristischen Gewalt. Anfang des Monats berichteten zahlreiche pakistanische Medien von einer neuen Sicherheitsstrategie, über die Pakistans Regierung und Sicherheitskreise derzeit offenbar beraten. Dabei soll die bisherige, vom Militär getragene Strategie, die fast ausschließlich auf Gegengewalt gesetzt hat, durch einen umfassenderen Ansatz ersetzt werden.

So soll sich der Staat zukünftig verstärkt den Ursachen der extremistischen Gewalt zuwenden, heißt es in Medienberichten. Dafür soll das Bildungswesen überarbeitet werden. Überkommene Lehrpläne, die über Inhalte verfügen könnten, die extremistisches Gedankengut befördern, sollen korrigiert werden. Eine Kampagne soll ins Leben gerufen werden, die über die „verzerrte Version des Islam“ der militanten Gruppen aufklärt. Überdies soll der Staat Anstrengungen unternehmen, um Aussteiger aus militanten Gruppen in die Gesellschaft zu reintegrieren und um zu verhindern, dass extremistische Gruppen neue Anhänger rekrutieren.