: Halt die Klappe und sei glücklich
Dammriss, Übergewicht und Schlafentzug? Davon ist in Ratgeberbüchern zu Geburt und Elternschaft kaum die Rede. Sie empfehlen streitenden Paaren lieber Schafgarben-Duftöl. Eine Zumutung, auch wenn das Baby ein Wunschkind ist
KÖLN taz ■ Zwei Arten von Kommentaren habe ich gar nicht vertragen. Die eine war: „Du hast wenigstens ein Kind. Und einen Freund.“ Das hieß so viel wie: Halt die Klappe und sei glücklich. Bin ich aber nicht. Die andere Art: „Das weiß man doch, dass Ratgeberbücher lügen.“ Nein, weiß man nicht. Woher auch, wenn man noch nie schwanger war?
Denn die Horrorgeschichten habe ich alle erst hinterher erzählt bekommen. Geschichten vom zerrissenen Schließmuskel einer Kollegin, vom Baby eines Bekannten, das von der Geburt eine Behinderung behielt, von einer Tante, die bei einer ähnlichen Geburt wie meiner, allerdings in Bolivien, gestorben war. Gemessen daran geht es dem Kind und mir gut. Doch gemessen daran, was in Büchern über Schwangerschaft steht, hat es mich gar nicht gegeben. Dort ist die Rede vor allem von Vata-Aromaöl in der Duftlampe und sanfter Geburt in der Badewanne.
„Risikogeburt? Ach, werden Sie erst mal schwanger“, hatte der Arzt zu meinen 38 Jahren gesagt. Also wurde ich schwanger. Der Bauch wuchs und wuchs, er wuchs noch Tage über den Termin. Weder Arzt noch Hebamme erwähnten die Möglichkeit einer schweren Geburt. Im Krankenhaus wurde sie mit Hormonen eingeleitet. Am vierten Tag dauerte es dann 20 Stunden, bis sich ein 4.200 Gramm schweres Mädchen ins Neonlicht des Kreißsaals gequetscht hatte. Noch heute, die Kleine geht längst zur Tagesmutter, basteln Osteopathen an ihrer Haltung herum.
Als ich die Horrorgeschichten anderer Frauen dann hörte, war ich bereits durch Scheiße gewatet. Von der Geburt des Riesenkinds blieb ein Riss einmal längs. Das Urinieren brannte, und gegen die 30-minütigen Krämpfe auf dem Klo half nur das Klistier. Ich konnte nicht gehen, stehen, sitzen, das Kind nicht heben. Als ich die Kollegin fragte, warum sie mir nie vom Schließmuskel erzählt hat, sagte sie, sie habe mich nicht ängstigen wollen.
Vom Kühlen der Dammwunde bekam ich eine Blasenentzündung. Es folgten eine Brustentzündung (Weiterstillen!, befahl die Kinderärztin), Ekzeme, grippale Infekte, noch mehr Blasenentzündungen (keine Medikamente, weiterstillen!). Ein halbes Jahr Rückbildungsgymnastik später machte ich mir beim Husten noch immer in die Hose. Dem Bus hinterherlaufen? Joggen? Undenkbar. Stattdessen sollten Stromstöße aus einer kleinen Sonde meinen überdehnten Beckenboden trainieren. Der Erfolg hielt sich in Grenzen: Als ich mich mit einem Magenvirus übergeben musste, lief die Blase aus – leider nicht zu Hause. Später fragte ich eine befreundete Mutter, ob auch sie inkontinent sei. Sie bejahte, ihr Freund staunte: „Kriegt man danach Probleme mit der Blase?“
Froh machte das nicht. Trotz aller Freude am Kind. Trotz Blumen und Geschenken gleich nach der Geburt. Später war ich viel allein mit Kind und Mann, mit dem ich mich nun ständig stritt. Wenigstens das hatten die Bücher prophezeit. Sie empfehlen Schafgarben-Duftöl, um die „seelische Mitte“ zu finden. Doch Schafgarbe brachte kein Geld aufs Konto, das ins Minus rutschte, weil wir wider Erwarten kein Erziehungsgeld bekamen. Schafgarbe nutzte nichts gegen Viren und Bazillen, die unsere Tochter vom Babyturnen mitbrachte und damit Tagesmutterpläne immer wieder zunichte machte. Schafgarbe hilft nicht bei Heulkrämpfen und Schlafdefizit, nicht bei Übergewicht, Beziehungskrise, Haushaltschaos und Zukunftsangst. Sie hilft auch nicht gegen das Gefühl, mit der Elternschaft dem Tod einen Riesenschritt näher gekommen zu sein. Und nicht gegen den Spruch des Freundes, der auf mein Jammern erwiderte: „Dann solltest du dein Kind zur Adoption freigeben.“
Nur in einem Buch habe ich etwas über Blasenschwäche und postnatale Angst vorm Tod gefunden. Den Übergang in die Mutterschaft, hieß es da außerdem, umgebe eine Verschwörung des Schweigens. Ich fragte also meine Hebamme, warum niemand Klartext über das Elend nach der Geburt rede. Sie antwortete tatsächlich: „Dann haben die Frauen doch noch mehr Angst vorm Kinderkriegen.“
In dem Buch stand noch, dass Menschen, die sich angemessen informiert und unterstützt fühlen, mit Stress besser fertig werden. Ja, schön wär’s gewesen. So aber habe ich beschlossen: nie wieder. KIRSTEN MEINZE