Maximaler Punch

KINO Selbst im wahnwitzigen Extremkino der japanischen B-Filme gilt Seijun Suzuki als extremer Ausnahmefall. Das Arsenal-Kino würdigt den exzessiven japanischen Regie-Berserker im August mit einer Retrospektive

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Maßhalten war nie seine Sache. Die Filme des japanischen Regie-Berserkers Seijun Suzuki gehören zum Kanon eines Kinos des Exzesses, das eine eigene Kunstform daraus gemacht hat, mit Gusto die Regeln des Filmemachens wie des guten Geschmacks zu brechen. Im August zeigt das Arsenal eine Retrospektive mit 13 seiner Filme.

Zu den Markenzeichen von Suzukis Filmen gehören grelle Farbkompositionen, extreme Lichteffekte, verwirrende Montagesequenzen und eine Inszenierungspraxis, die sich wenig um narrative Logik kümmert, aber viel Energie und kinematografische Intelligenz darauf verwendet, dem Zuschauer den maximalen Punch zu verpassen. Selbst im wahnwitzigen Extremkino der japanischen B-Filme der 50er und 60er Jahre ist der 1923 geborene Suzuki ein Ausnahmefall, ein Extremist unter Extremisten, ein Revolutionär.

Seine Filmkarriere begann 1948 als Regieassistent bei dem Filmstudio Shochiku, eine relativ glanzlose Periode, wenn man dem Regisseur glauben darf: „Ich war ein melancholischer Trunkenbold und wäre bei den meisten größeren Studios wohl irgendwann gefeuert worden.“ 1954 wechselte er zu Nikkatsu, einem Studio, das für seine B-Filme für aufrührerische Jugendliche bekannt geworden ist. Seinen ersten eigenen Film drehte Suzuki 1955, „Victory is Mine“, ein Musikfilm mit vielen populären Popsongs. Als Vertragsregisseur musste Suzuki für Nikkatsu pro Jahr bis zu sechs Filme nach einem strikten Produktionsplan drehen, meist rasch produzierte Thriller und Teenagerfilme.

Absurder schwarzer Humor

Mit dem Film „Youth of the Beast“ von 1963 fand er zu seinem eigenen, irrwitzigen Stil, und in den folgenden Jahren entstanden Filme, die von Produktion zu Produktion surrealer und hysterischer wurden: „Story of a Prostitute“ (1965), „ Fighting Elegy“ (1966) und sein Meisterwerk „Tokyo Drifter“ (1966), Filme voller Gewalt, Sadismus, Sex und soziopathischer Antihelden. Der absurde schwarze Humor, mit dem er in diesen Filmen die japanische Gesellschaft vorführte, macht ihn zu einem Geistesverwandten von Samuel Fuller, sein Desinteresse an der Einheit von filmischem Raum und Zeit, die er mit aller Logik Hohn sprechenden Montagesequenzen dekonstruiert, rückt ihn oft in die Nähe eines Godards.

„Film hat keine Grammatik“, dekretierte er in einem Interview, doch eine Kritik der traditionellen Filmform waren seine Werke nicht. Er experimentierte mit der Form, weil die Drehbücher, die er verfilmen musste, ihm so langweilig und stereotyp erschienen, dass er sie unterhaltsamer machen wollte. Trotz seines exzessiven Stils arbeitete er mit einer Disziplin, die er im japanischen Studiosystem gelernt hatte, und drehte jede Szene nur einmal. Ihre endgültige Montage erledigte er oft an einem Tag.

Sein gnadenloser Stil führte dazu, dass ihm nach dem Thriller „Branded to Kill“ 1967 von seinem Filmstudio Nikkatsu gekündigt wurde: „Unverständlich“ seien seine Filme und sie würden kein Geld einspielen. Suzuki klagte gegen die Entscheidung. Vor Gericht brach er den Stillhalte-Code der japanischen Filmindustrie und enthüllte die Zwänge, unter denen Regisseure bei dem Studio arbeiten mussten. Er gewann, bekam eine Entschädigung und Nikkatsu musste sich offiziell bei ihm entschuldigen. Das Verfahren trug zu seinem Ruf als Kinorebell bei und machte ihn zum Helden linker Studenten in Japan.

Allerdings stand er seither in der japanischen Filmindustrie als Querulant auf der schwarzen Liste. Seine Karriere war vorerst zu Ende, und zwei Jahrzehnte lang musste er sich mit Fernsehproduktionen, kleinen Filmrollen und gelegentlichen Independent-Filmen über Wasser halten. In der „Taisho“-Trilogie, besonders in „Zigeunerweisen“ (1980), konnte er an seine radikalsten Experimente aus den 60er Jahren anschließen.

Erst in den 90er Jahren wurde Suzuki wieder entdeckt, und er konnte – inzwischen einer der dienstältesten Regisseure Asiens – zu Beginn des neuen Jahrtausends noch einmal zwei Filme realisieren, die in der Arsenal-Retrospektive allerdings fehlen.

Noch 2008 suchte Suzuki bei einem Finanzierungsforum in Tokio Investoren für ein Filmprojekt, obwohl der ehemalige Kettenraucher inzwischen ein Atemgerät tragen muss und gesundheitlich stark angegriffen ist. Das Projekt fand keinen Unterstützer, und so wird „Princess Rancoon“, den er 2005 im Alter von 82 Jahren mit Zhang Ziyi drehte, wohl sein letzter bleiben.

■  Seijun-Suzuki-Reihe im Arsenal: 2. bis 31. 8. www.arsenal-berlin.de