: Die Erregungsmacher
Die Medien haben nach ihrem Meinungsdebakel bei der letzten Bundestagswahl nichts dazugelernt. Der aktuelle Renner heißt: die Krise der SPD. Es gibt sie nicht. Daher wird sie herbeigeschrieben
VON JAN FEDDERSEN
Rätselhafte Spitzenmeldung bei Spiegel-Online gestern Mittag, einer Vorabmeldung des Magazins Stern und des TV-Senders RTL entnommen: „SPD nähert sich Schröder-Tief“. Im Text liest man: Die SPD sei bei Umfragen jenen Prozentwerten nahe, die sie attestiert bekam, als der Kanzler noch Schröder hieß und sich selbst wie seine Partei für unverzichtbar hielt. Im Gegenteil, ist weiter der kargen Meldung zu entnehmen, genieße Angela Merkel wie ihre Partei umfragetechnisch fundierte Sympathiewerte, die, so darf man anfügen, beinah an eine realsozialistische Parteitagsakklamation heranreichten.
Hört man sich zu dieser so genannten News im Bundestag unter Sozialdemokraten allerdings um, ob nun bei Linken oder Rechten, erntet man, nun ja, desinteressierte Stille. Denn wahr scheint doch dies: Das Kurzzeitgedächtnis der Sozialdemokratie ist noch intakt. Sie erinnern sich, dass noch bis 17 Uhr 59 am 18. September alle Medienwelt glaubte, Merkel werde haushoch gewinnen und Schröder abgestraft. Mit den Hochrechnungen wie dem amtlichen Wahlergebnis waren dann alle überrascht wie klüger – und trotzdem sieht man Merkel heute nicht mehr an, dass sie ihrer Partei als leader of the pack ein erschütterndes Resultat einfuhr.
SPD-Krise? Ein Evergreen
Das „Schröder-Tief“ war offenbar auch nur eine Laune in der landläufigen Übung des Meckerns und Notenverteilens. Ebenso wie der jetzige quasi astrologische Befund des Forsa-Instituts (im Auftrag von Stern et al.). Denn für die nächsten Wahlen bedeutet das alles nichts: Kurt Beck in Rheinland-Pfalz soll bleiben, offen ist eigentlich nur, ob die Liberalen am Magdeburger Regierungstisch weiter Platz nehmen dürfen oder an ihrer Statt die SPD als Junioren der Union. Der Rest: Meinen und Behaupten.
Tatsache ist nur dies: Die SPD schneidet bei Bundestagswahlen – trotz oder wegen Schröder, egal – nicht so schlecht ab, wie alle Meinungswelt glaubt. Das Problem für Medien, ob gedruckte oder ausgestrahlte, ist allerdings, dass sich solcherlei Langfristanalysen kaum einbinden lassen in das Nachrichtengewerbe, in das Auf und Ab der gefühlten Lagen.
Momentan ist, wie alle Zeitungen und Illustrierten wissen, kaum etwas Skandalöses von erdbebenhaft-aufwühlendem Zuschnitt zu überliefern. Streiks (aus Verarmungsangst)? Vogelpest (als nebelhaftes Menetekel schmerzlicher Migrationen)? Schneechaos (als Folge des Kioto-Protokolls)? … Das war’s auch schon auf dem Boulevard des Politischen. Es geht sozusagen alles seinen Gang, möchte man bilanzieren – die Krise, ein Phantasma. Die große Koalition ist ein großer Erregungsgleichmacher, die Opposition ein Dreigestirn ohne echte Sexyness. Weder hat die FDP eine Mission noch die Grüne Partei eine Idee vom Dasein als ökologische Weltdeuterin. Und die Linkspartei? Es ächzt, und das nicht mal unterhaltsam. Doch einen magischen Ort benötigt man, um von ihm aus den Rest als fahl und mehlig zu erkennen. Gibt’s alles nicht. So, siehe Stern und RTL, erfindet man Krisen – und ersehnt inständig, dass das viele als Glaubenssatz teilen.
Neulich erst wurde behauptet, in der SPD wünsche man sich Parteichef Matthias Platzeck im Bundeskabinett und nicht in Potsdam als Brandenburgs Ministerpräsident, andernfalls drohe eine Krise, eine bundespolitische vielleicht nicht gleich, aber doch bestimmt eine sozialdemokratische. Der Mann ist immer noch nicht an Merkels Seite – und trotzdem ist die Partei noch immer die Partei. Ein Haufen von Kunglern und Unzufriedenen, die immer das Schlimmste fürchten und es doch nicht mehr tun müssen. Das freilich kann man nicht zum business as unusual hochjazzen: Denn das war immer so und wird wohl so bleiben, im Namen aller Brüder zur Sonne, zur Freiheit – Amen.
Krise der Krisen?
Egal: Die Mühen der Krisenerfindung gehen selbstredend weiter, Medien müssen zäh sein. Irgendwo muss doch der Stoff versteckt sein, in dessen Gewebe man den Verfall erfühlen kann – um Experten zu Wort kommen zu lassen, Wirtschaftsfunktionäre und Gewerkschaftsbesorgte. Ein Spiel mit präzise abgepieselten Rollen, bei dem die Realität aktuell nur nicht mitmachen will. Das Thema von „Christiansen“ steht donnerstags noch nicht endgültig fest: Man wird sehen.