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Archiv-Artikel

„Ich glaube nicht an ein Nomadenleben“

TANZ Seit zehn Jahren hat die Compagnie um Toula Limnaios ihren festen Sitz an der Halle Tanzbühne. Im neuen Stück „the thing i am“ knüpft die Choreografin an zwei alte Motive an: Schmerz und Leidenschaft

the thing I am

Die cie.toula limnaios zeigen in der Halle Tanzbühne Berlin ihr neues Stück. Wie in vergangenen Arbeiten werden grundlegende menschliche Eigenschaften reflektiert. Nach „wut“ stehen nun diesmal Schmerz und Leidenschaft im Mittelpunkt. In einer Gesellschaft, in der uns wenig berührt, versucht die Compagnie um Choreografin Toula Limnaios Stärke und Gebrochenheit, Wahrhaftigkeit und Hingabe in tänzerischen Formen umzusetzen.

■ „the thing I am“: Halle Tanzbühne Berlin, Eberswalder Straße 10–11, 2.–4., 8.–11., 15.–18. 8., 21 Uhr, 17/10 €

VON MAREEN LEDEBUR

Sie wird von ihm in die Ecke geschmissen, immer und immer wieder. Er zieht an ihr, drückt ihren Kopf gegen die Wand. Sie kriecht an der Mauer nach oben, schiebt sich von ihm weg und fällt. „I’ve got you under my skin“, summt es über dem weißen Tanzboden.

Das neue Stück der Tanzcompagnie cie.toula limnaois geht wahrlich unter die Haut: Schmerz und Leidenschaft stehen als Leitmotive im Mittelpunkt von „the thing I am“, welches am Freitag in der Halle Tanzbühne Premiere feiert. Ein weiterer Grund zur Feier ist das Jubiläum der Spielstätte. Denn seit zehn Jahren hat die freie Compagnie, die 1996 von Toula Limnaios und Ralf R. Ollertz gegründet wurde, ihren festen Sitz in der Eberswalder Straße. Das ist eine Seltenheit, darüber ist sich die Choreografin Toula Limnaios durchaus bewusst. „Dass wir existieren, gleicht einem Wunder. Wir sind eine Art Dinosaurier“, bekennt sie im Gespräch. Finanzielle Unterstützung leistet der Berliner Senat, dazu kommen Gastspiele und eigene Mittel. Eine weitere Besonderheit von cie.toula limnaios ist, dass alle TänzerInnen bei der Compagnie fest angestellt sind. Dieser Umstand liegt Toula Limnaios sehr am Herzen, denn sie setzt auf Kontinuität: „Ich glaube nicht an ein Nomadenleben, denn dann bleibt vieles an der Oberfläche.“

Das Stück übt Kritik an einer Welt, die von abgestumpften Gefühlen geprägt ist

Nur wer sich besser kennt, weiß, wann Grenzen erreicht und Emotionen erschöpft sind. Das gilt auch für die Zusammenarbeit zwischen der Choreografin und ihren TänzerInnen. In „the thing I am“ strickt die gebürtige Griechin, die zuvor vier Jahre lang im Folkwang Tanzstudio zusammen mit Pina Bausch arbeitete, an dem roten Faden weiter, der sich bereits durch ihre vergangenen Stücke zog: das alltägliche Dasein auf der Welt und die Absurdität sich wiederholender Handlungen. Die Erfahrung verzweifelter und schmerzlicher Momente hat jeder Mensch, aber zugleich ist sie auch stets sehr subjektiv. Auf der Bühne verschwimmen die Grenzen häufig zwischen Freude und Trauer. Ein von schmerzhaftem Zucken Gekrümmter verfällt in ein fast unerträgliches Lachen. Das Ensemble tastet sich gegenseitig mit den Gesichtern ab, fühlt mit den Wangen, Nasenspitzen und Augenlidern die Körper der anderen. Qualvolle wie leidenschaftliche Momente wiederholen sich in „the thing I am“ mal laut, mal leise.

„Schmerz arbeitet mit der Zeit, und Wunden verändern sich mit der Erinnerung“, sagt Toula Limnaois. Für die Choreografin ist das Qualvolle nicht immer an der Oberfläche sichtbar. Bei der Vorarbeit zum Stück hat sich Toula Limnaios auf die kleinen Details aus dem Alltagsleben konzentriert. Schmerz hat für sie viele Variationen und ganz unterschiedliche Farben. Ein wichtiges Symbol der Leidenschaft sind für Toula Limnaios Pferde. Deren Bewegungen finden sich in den großen Sequenzen des Stückes wieder.

„the thing I am“ will Kritik an einer Welt üben, die von abgestumpften Gefühlen und oberflächlichen Wahrnehmungen geprägt ist. Laut Toula Limnaios fehlt es uns an Empathie. „Wir denken sehr oft, dass wir isoliert sind. Deshalb können Alltagssituationen schon wegen Kleinigkeiten eskalieren“, sagt sie.

„Dass wir existieren, gleicht einem Wunder. Wir sind eine Art Dinosaurier“

Wie allein Menschen sein können und wie ignorant andere, darauf zu reagieren wird hier tänzerisch gezeigt. Fast schon albtraumhaft sucht eine kriechende Frau von Umherlaufenden Hilfe. Entschuldigen Sie, Entschuldigen Sie – ihre Worte verhallen. Wie viel Empfindsamkeit können wir nach dem Erleben solcher Szenen letztlich im eigenen Alltag aufbringen? Toula Limnaios wünscht sich vor allem, „die Sorge füreinander zu vermitteln“. In der Compagnie bringen acht TänzerInnen ihre kulturellen Sichtweisen in die Umsetzung mit ein. Sie kommen aus Ungarn, Polen, Spanien, Italien, Deutschland, Korea, Japan und Bulgarien. Für Toula Limnois ist das bereichernd, denn ein Pole zeigt seinen Schmerz auf ganz andere Art und Weise als ein Japaner.

Das letzte Stück von cie.toula limnaios aus dem vorigen Jahr hieß „wut“, und in gewisser Weise knüpft „the thing i am“ daran an. „Manchmal ist es wichtig mit der Faust auf den Tisch zu hauen“, findet die Choreografin. Die gegenwärtige Gesellschaft erscheine ihr so farblos. Mit ihren leuchtenden Tanzstücken versucht Limnaios diese wieder Farbe zurückzubringen. Und da das Spektrum des menschlichen Gemütszustands groß ist, steht die nächste Eigenschaft, über die es sich tanzen lässt, bereits im Raum: Leichtigkeit.