: Täglich 18 Minuten nachdenken
Säbbelrasseln am Tag vor neuen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst: Zum Auftakt der Computermesse Cebit demonstrierten gestern 20.000 Verdianer in Hannover. Die Arbeitgeberseite sieht auch darin „kein positives Zeichen“
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di wird persönlich: „Täglich 18 Minuten über unsere Argumente nachdenken, Herr Möllring, dann wäre ein Streik überflüssig!“ Mit dem Spruch warb ver.di gestern in den U-Bahnen, die zur Computermesse Cebit fuhren, für Verständnis für eine der größten Demonstrationen, die Hannover in den letzten Jahren gesehen hatte. Über der Erde baumelte der Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft der Länder, Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring, als Pappfigur an einem Galgen. „Schluss mit lustig“, stand dem bislang eisernen Verhandlungspartner von Frank Bsirske auf die Stirn geschrieben. „Wir haben die Schnauze voll“, rief der ver.di-Chef in die Menge.
20.000 ver.dianer waren in dieser fünften Streikwoche zur zentralen Demo nach Hannover gekommen, um gegen eine Verlängerung der Arbeitszeit um 1,5 Stunden pro Woche und Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld zu protestieren. Das wären doch nur 18 Minuten pro Tag und bei der angespannten Lage der Länderetats zu verkraften, hatte Möllring in den vergangenen Wochen gebetsmühlenartig wiederholt. ver.di wiederum rechnet vor, dass die Arbeitszeitverlängerung 250.000 Stellen im öffentlichen Dienst bedrohe. Möllring habe ein „Benehmen wie bei einer Wirtshausschlägerei“, sagte Bsirske. „Ein arroganter Seppel!“, riefen zwei Müllmänner. Kollegen hatten ein Plakat gemalt: „Besser der Müll auf der Straße als die Arbeit im Müll“.
Einen Tag vor neuen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst wollte ver.di noch mal Muskeln zeigen. In 236 Bussen und zwei Sonderzügen aus Göttingen und Bremen waren die Streikenden nach Hannover gekarrt worden: Krankenschwestern, Müllmänner, KindergärtnerInnen, Straßenmeister, sogar die Angestellten aus drei Staatstheatern. Einige waren als Rotstift verkleidet, alle mit Trillerpfeifen ausgestattet – das färbte die Geräuschkulisse auf dem Opernplatz bisweilen ziemlich schrill.
„Kein positives Zeichen“, sah gestern auch der Gescholtene. Die ver.di-Forderung, das Ergebnis der Gespräche in Hamburg zur Verhandlungsgrundlage zu machen, fand Möllring „so abwegig“, da könne man nicht drüber „reden, geschweige denn verhandeln.“ In Hamburg hatten sich Gewerkschaft und Arbeitgeber auf einen Abschluss verständigt, der einer Arbeitszeit von deutlich unter 39 Stunden pro Woche entspricht. ksc