: Der Whiskey des Direktors
Jedes Bild hat eine Quelle in den Dingen, aber auch in der Geschichte der Bilder. Davon ist Hartmut Bitomsky, der neue Leiter der Deutschen Film- und Fernsehakademie, überzeugt. Ein Porträt
VON CLAUDIA LENSSEN
Sein Schreibtisch ist eine schlichte Holzplatte auf Böcken, die Wand dahinter blank. Überall auf dem grauen Teppich Kartons voller Bewerbungsunterlagen für den neuen Jahrgang an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB), an der Decke freie Sicht auf ein Gewirr metallischer Versorgungsstränge. Zehn Wochen nach dem Amtsantritt von Hartmut Bitomsky offenbart sich der architektonische Brutalcharme des Filmhauses am Potsdamer Platz äußerst lässig. Der neue Direktor der DFFB gibt vorerst nicht viel auf Ambiente.
An diesem Nachmittag kommt er aus dem kleinen Kino im neunten Stock und trinkt einen Kaffee aus dem Pappbecher. Er geht am Stock – bloß eine Knieverletzung – und strahlt im Übrigen abgeklärte Freude aus über die Absolventenfilme, die er seit Januar zu sehen bekommt. Die Studentenfilme entdecken Polen und das südliche Osteuropa bis nach Odessa; das fällt einem Cineasten, der zuletzt in Kalifornien Filmemachen gelehrt hat, als Erstes auf.
Wenn der geborene Bremer spricht, mischt sich ein leicht amerikanischer Tonfall in hanseatische Bedächtigkeit. Zwölf Jahre war er Dekan und Dozent der Filmabteilung des California Institute of the Arts im Süden von Los Angeles. Das ist ein teures privates College, an dem alle Künste gelehrt werden und Cross-over-Ideen auch den Film prägen. Ein bisschen wie die hiesige Universität der Künste, vergleicht Hartmut Bitomsky. Man arbeite experimentell, als deutliche Alternative zur Filmindustrie.
Das Selbstverständnis seiner amerikanischen Studenten erinnerte ihn an den eigenen Start in den Sechzigerjahren. „Total filmmaker“ zu werden, das war das Ziel. Es bedeutete Filmemachen aus einer Hand, bei dem man von der Idee bis zur Endfertigung alles selbst ausführt, nicht nur die sprichwörtliche Handschrift des Autorenfilmers in die Teamarbeit einschreibt.
Der Gegensatz zwischen der neuen und der alten Leitung der DFFB ist schon (film-)biografisch vorgezeichnet. Bitomskys Vorgänger Reinhard Hauff kam 1993 als ausgewiesener Spielfilmregisseur des neuen deutschen Films an die DFFB, zur selben Zeit, als der Dokumentarfilmer, Essayist und Filmtheoretiker Hartmut Bitomsky seiner Karriere durch den Wechsel nach Kalifornien eine andere Richtung gab. Zwanzig Jahre lang hat Bitomsky Filme gemacht, die sich mit Phänomenen der Alltagsgeschichte und der Kinematografie befassen, und sie auf ihre kulturhistorischen, ökonomischen und ästhetischen Horizonte hin untersuchen. „Bilder kommen von den Dingen, sie kommen aber auch von den Bildern“, ist einer seiner Leitsätze.
Das reflektierende und essayistische Werk von Bitomsky – darunter seine ausgezeichnete Trilogie „Deutschlandbilder“ (über die Nazi-Kulturfilmproduktion), „Reichsautobahn“ und „Der VW-Komplex“ – hat ihn für die kalifornische Filmschule attraktiv gemacht und den Ausschlag für seine Berufung nach Berlin gegeben. Das Filmen führt er übrigens in langsameren Intervallen weiter. 2001 war sein Film über das legendäre amerikanische Bombenflugzeug „B 52“ auf der Berlinale zu sehen. In diesem Jahr bringt er ein jahrelanges Projekt zu Ende, einen Film zum Thema Staub.
Hartmut Bitomsky ist der erste Direktor der DFFB, der seine Karriere als Student dieser Akademie begonnen hat. Damals, 1966, erzählt er, gab es kurz nach der Gründung noch kein Curriculum wie heute – eine Leistung, die er an der Arbeit seiner Vorgänger bewundert. Anfangs funktionierte die DFFB nach dem Prinzip von Meisterklassen, mit einem bemerkenswerten Defizit an technischem Know-how. Die Studenten drehten, was sie wollten; eine offizielle Projektbewilligung durch den Direktor, wie heute üblich, war nicht vorgesehen. Es kam, wie Bitomsky schmunzelnd resümiert, zu handfesten politischen Konflikten der politisch aktiven Studenten mit der Leitung. Sie hatten rebellischere Vorstellungen von einem neuen deutschen Kino. Bitomsky erinnert sich an ein Go-in in das Büro des Direktors Erwin Leiser, bei dem dessen Whiskey getrunken, dessen Zigarren geraucht und nebenbei der angeblich verschwundene Film eines umstrittenen Mitstudenten gefunden wurden. Grund genug für den Rauswurf von Hartmut Bitomsky und einiger seiner Kollegen. Das war ein Knick, den er mit Filmarbeiten für das ambitionierte dritte Programm des WDR mehr als kompensieren konnte.
„Wissen schädigt künstlerisch nicht“, ist seine am amerikanischen Collegealltag härtegeprüfte Grundüberzeugung. Zu seiner Studentenzeit, kann sich Hartmut Bitomsky erinnern, sei ihm kaum bewusst gewesen, welche Spannbreite und Reichhaltigkeit an filmhistorischer Kenntnis sein Dozent Ulrich Gregor damals vermittelt habe. Der spätere Leiter des Internationalen Forums der Berlinale wusste nicht nur alles übers internationale Filmkunstkino, er kannte auch die Quellen, wo die Kopien aufzutreiben waren. Zum 40. Jubiläum der Gründung der DFFB, das man zusammen mit der Kinemathek und den Arsenal- Kinos im Herbst begehen wird, ist Gelegenheit für die notwendige Würdigung.
Der neue Direktor steht einer Filmschule vor, die sich seit ihrer Gründung vollkommen verändert hat. Inzwischen sind die Jahrgänge zur Hälfte von Studentinnen besetzt. Die Ansiedlung in der hybriden neuen Mitte Berlins hat ihre Spuren hinterlassen, mehr jedoch der (Förder-)Boom, der die Medienindustrie seit den Neunzigerjahren antreibt. Reinhard Hauffs Credo vom leidenschaftlichen und provokanten „Low budget – high energy“-Film führte zu handwerklich immer perfekteren Absolventenfilmen, die den Druck der herrschenden Produktionsstandards zunehmend in die Schule hineintrugen. An dieser Schnittstelle sieht sein Nachfolger die Chance einer Neuorientierung. Auch das Kino für die Massen, meint er, braucht neue Ideen.
Wunderbare Filme sind zurzeit in Arbeit, meint Bitomsky. Die Zukunft für dieses künstlerische Biotop sieht er zum Beispiel in der Wechselbeziehung zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Ein Projekt erzähle die Begegnung zweier russischer Halbbrüder wie ein Naturereignis, scheinbar vollkommen dokumentarisch und trotzdem inszeniert. Spielfilme sind für Hartmut Bitomsky auch Dokumentarfilme ihrer selbst – dieses Spannungsverhältnis wird in seine Dozentenarbeit einfließen, wenn er ab Oktober Seminare veranstaltet.