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Archiv-Artikel

Sie kümmert’s, wer spricht

Literaturfestivals wie die heute beginnende „lit.Cologne“ feiern eine tot geglaubte Institution: den Autor. Den Verlagen geht es dabei um Marketing. Aber warum zelebriert das Publikum Lesungen?

Bret Easton Ellis: Sieht der so aus, als könnte er Frauen mit einer Bohrmaschine zu Leibe rücken?

VON MICHAEL AUST

1968 war ein gefährliches Jahr. Gleich zwei Aufrufe zum Autorenmord stammen aus dieser Zeit. Die Täter? Die französischen Philosophen Roland Barthes und Michel Foucault. „Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors“, forderte Barthes damals in seinem Text „Der Tod des Autors“. Er erklärte alle Leser für verrückt, die erst eine Biografie des Autors wälzen, um einen Roman zu verstehen. Der Text, das „Gewebe von Zeichen“, könne für sich selbst sprechen und brauche keinen „Autor-Gott“ zur „Fixierung des Sinns“. Michel Foucault legte nach mit der Frage „Wen kümmert’s, wer spricht?“ und stellte lakonisch fest: „Man kann sich eine Kultur vorstellen, in der Diskurse verbreitet würden, ohne dass die Funktion des Autors jemals erschiene.“ Eine Kultur, in der Romane keine Autorennamen tragen.

Barthes und Foucault, die philosophischen Autorenmörder, sind längst tot. Überlebt hat der Autor als literarische Größe, und 30 Jahre später ist er lebendiger denn je. Literaturfestivals wie die heute in Köln beginnende „lit. Cologne“ feiern ihn, die Faszination für die reale Person hinter dem bedruckten Papier ist ungebrochen. Mit neun Festivaltagen und 131 Veranstaltungen ist die zum sechsten Mal stattfindende „lit.Cologne“ eines der bedeutendsten Literaturfestivals Deutschlands. Und eines, das fast ausschließlich auf die Zugkraft von Autorennamen setzt und Stars wie Bret Easton Ellis, Zeruya Shalev, Frank Schätzing und Arne Dahl aufbietet. Am Mittwoch waren bereits 90 Prozent der Lesungen ausverkauft. „Besser denn je stehen wird da!“, freut sich Geschäftsführer Werner Köhler. Er rechnet mit 70.000 Besuchern. Zu allem Überfluss startet nächste Woche auch „Leipzig liest“, das mit 1.800 Veranstaltungen größte Autoren-Lesefest der Republik.

Was fasziniert die Massen an dem eher trockenen Freizeit-Event Lesung? Was ist so spannend daran, sich einen kleinen Ausschnitt aus einem Roman vorlesen zu lassen – während man das Buch daheim von Anfang bis Ende lesen, dabei bequem sitzen und Musik hören könnte?

Für die Verlage lohnt es sich natürlich finanziell, Autoren und Bücher bekannt zu machen. Doch das erklärt nicht den Besucherandrang. Der rührt eher aus dem kindlichen Glauben des Publikums an die Autorität des Autors: Daheim im Lesesessel muss man sich seinen eigenen Reim auf das Geschriebene machen, hier sitzt einem der Mensch gegenüber, der einem das Ganze erklären kann – er hat es doch schließlich geschrieben. Genau deshalb werden Fragen nach dem biografischen Gehalt von Texten in diesen Runden so gern gestellt, und die Zuschauer verstehen oft nicht, wenn der Autor dazu nichts sagen kann. Oder sind enttäuscht, wenn die Autorin nicht so aussieht wie die Ich- Erzählerin im Roman – was die israelische Autorin Zeruya Shalev kürzlich von einer Lesung berichtete.

Es ist die Magie des Authentischen, die bei Lesungen reizt: der Abgleich zwischen einem Autor aus Fleisch und Blut und seinen aus Druckerschwärze bestehenden Figuren. Wer rätselt bei einer Lesung des amerikanischen Autors Bret Easton Ellis nicht: Sieht der so aus, als könnte er Frauen mit einer Bohrmaschine zu Leibe rücken – wie der perverse Held aus Ellis’ Roman „American Psycho“?

Zu manchen literarischen Strömungen gehört die große Show auch einfach dazu. Kein Zufall, dass Ende der 90er Horden junger Menschen in die Lesungen des Pop-Schreibers Benjamin von Stuckrad-Barre stürmten und diese zu ausverkauften Hallen-Events machten. Kein Zufall auch, dass Stuckrad einen literarischen Bestseller über seine Lesereisen schreiben konnte. Zur Pop-Literatur der 90er, die ausschließlich junge Helden der Gegenwart porträtierte, gehörten inszenierte junge Autorenhelden eben dazu.

Überhaupt sind Lesungen für Autoren fast die einzige öffentliche Bühne, auf der sie sich ohne Vermittlung durch Kritiker ins rechte Licht rücken können. Eitel- und Verletzlichkeiten spielen in diesem Geschäft eine große Rolle, weshalb viele Autoren sensibel auf Literaturkritik reagieren und sich wohl am liebsten ausschließlich selbst um die Vermarktung ihrer Bücher kümmern würden. Beispiele für Autor-Aggressionen sind Legion, von Goethes Ausruf „Schlagt ihn tot! Er ist ein Rezensent!“ bis Martin Walsers Roman „Tod eines Kritikers“. Es war 1968 auf der Veranstaltung „Autoren diskutieren mit ihren Kritikern“ in Köln, als der damals 28-jährige Autor Rolf Dieter Brinkmann aufstand und an den Kritiker Marcel Reich-Ranicki gerichtet rief: „Ich sollte überhaupt nicht mit ihnen reden, ich sollte ein Maschinengewehr haben, und Sie niederschießen!“

Der Autor ist nicht totzukriegen: Die Leser lieben ihn, die Verlage brauchen ihn, und philosophische Mordanschläge auf ihn hat es lange nicht gegeben. Und notfalls schießt er sich eben den Weg frei.