Ein Star auf dem Sprung

Mein Bekannter Martin heißt jetzt Finn, weil das besser klingt: Mit seiner Band Asher Lane schickt er sich an, seinen Traum zu leben und als Musiker Karriere zu machen. Sein Song „New Days“ läuft täglich im Fernsehen – in Nivea-Werbespot

VON DAVID DENK

Martin heißt jetzt Finn. Er hat es so gewollt. Ich muss mich erst noch dran gewöhnen. Er hat mir zwar angeboten, ihn ruhig weiter Martin zu nennen, doch will ich mich dem Lauf der Dinge nicht versperren.

Es ist nämlich so: Finn, früher Martins zweiter Vorname, breitet sich in seinem Leben aus, drauf und dran, das Kommando zu übernehmen. Sein bisheriger Vorname ist zum Nachnamen geworden, der bisherige Nachname klingt einfach zu provinziell, zu sehr nach Berliner Hinterhof.

In Finn Martins Leben ändert sich gerade eine ganze Menge – schleichend und unberechenbar pirscht sich der Erfolg an, keiner weiß, wie lange er bleibt, und jeder weiß, dass letztlich keiner weiß, wie man ihn aufhalten kann, wenn er sich einmal verabschiedet. Diese Namensänderung ist also sowohl das erste sichtbare Zeichen dieser Veränderung als auch die wohl letzte Selbstversicherung, alles unter Kontrolle zu haben.

Finn, 23, ist Sänger und Gitarrist der Band Asher Lane, deren Debütsingle „New Days“ im aktuellen Nivea-Werbespot zu hören ist. Und das in 90 Ländern. Martin war der Freund meiner Cousine und Nachhilfelehrer meines Bruders.

Er erlebt gerade, wovon andere ihr Leben lang träumen.

Kurz vor Weihnachten habe ich Martin bei Peek & Cloppenburg am Tauentzien in Berlin getroffen, im Keller, bei den coolen Klamotten. Ich war auf der Suche nach einer Winterjacke, Martin hat Pullover gefaltet wie seit drei Jahren jede Woche ein bis zwei Mal. Hier hat er seinen Lebensunterhalt verdient, sein Lebensinhalt freilich war ein anderer. Klar hätte er lieber von der Musik gelebt, doch war er froh, einen Job mit flexiblen Arbeitszeiten, netten Kollegen und guter Bezahlung gefunden zu haben – mit anderen Worten: Freiheit. Der Rest der Woche gehörte der Musik.

„Es ging mir immer darum, Songs zu schreiben, Geschichten zu erzählen oder Erlebnisse für mich festzuhalten, zu verarbeiten“, sagt Finn beim Frühstück in seiner Kreuzberger Zweier-WG. Die Auswahl ist spärlich – wie bei Leuten, die selten zu Hause sind, üblich. Marmelade und Honig halten einfach länger als Wurst und Käse.

Wir kommen ohnehin kaum zum Essen, denn wir haben nur eine Stunde Zeit. Eigentlich zu wenig, um über Martins Leben und Finns Karriere zu sprechen. Dass Martin seinen Vater nie kennen gelernt hat und er das schwarze Schaf seiner Familie ist, erzählt er erst, als das Aufnahmegerät schon aus ist. Er möchte, dass ich das weiß.

Zum ersten Mal getroffen habe ich Martin vor etwa drei Jahren bei einer Geburtstagsfeier meiner Tante. Auf dem Balkon erzählte er mir von den ehrgeizigen Plänen seiner damaligen Band Cocoon, die das Angebot hatte, in eine Dailysoap eingebaut und über drei, vier Monate „gefietschert“ zu werden.

„Wir haben das dann aber abgelehnt – aus Angst, uns zu verbrennen“, sagt Finn drei Jahre später. „Vielleicht kriegste einen Hit hin über diese Schiene, aber danach biste halt für immer die Band aus der Soap.“ So blieben sie also eine kleine Band, die ein Album bei einem kleinen Indielabel, Rough Trade, veröffentlichte und einige Konzerte in kleinen Clubs gab, zum Beispiel im Knaack in Berlin. Ich erinnere mich nur noch daran, dass Martin bei diesem Auftritt reichlich Kajal trug und nach wenigen Minuten kein Hemd mehr. Mit nacktem Oberkörper sang er traurige Texte zu trauriger Popmusik mit Folkelementen. „Das waren eben meine Teenage-Angst-Jahre“, sagt Finn heute.

Als alles eine Nummer kleiner ausfiel, als es an diesem Abend auf dem Balkon klang, hielt ich Martin für einen Träumer, man könnte auch sagen: Schwätzer. Ich sollte mich täuschen.

„New Days“ hat es in die Single-Top-100 geschafft – wenn auch nur knapp. Eingestiegen auf Rang 97, steht der Nivea-Song jetzt auf 98, zwischen „Stranger (London Mix)“ von den Simple Minds und „Hamburg & Cologne“ von Olesoul.

Damit es möglichst weit aufwärts geht, ist die Band seit der Veröffentlichung von „New Days“ am 10. Februar viel unterwegs. Eine Woche lang haben Finn und seine Bandkollegen 17 deutsche Radiosender abgeklappert, sind dafür mit einem Kleinwagen rund 4.500 Kilometer kreuz und quer durch Deutschland gefahren.

„Es war toll, die Reaktionen in den Redaktionen zu merken, direktes Feedback auf unseren Song zu bekommen“, sagt Finn, „aber auch echt anstrengend.“ An einem Tag haben sie in Hamburg, Hannover, Bremen und Oberhausen Interviews fürs Radio gegeben und die Akustikversion von „New Days“ gespielt. Als ein Moderator Finn fragte, wo sie gerade herkommen, wusste er es nicht – genauso wenig, wie er sich nun dran erinnert, in welcher Stadt er die Frage nicht auf Anhieb beantworten konnte. Aber die Anstrengung hat sich gelohnt: In den deutschen Charts steht „New Days“ auf Platz 30.

Jetzt ist Finn wieder in Berlin und bereitet sich auf die in ein paar Tagen beginnenden Aufnahmen für das Debütalbum von Asher Lane vor.

Er macht Musik, seit er 14 ist, und tut trotzdem (oder wahrscheinlich doch eher deswegen) nicht so, als sei der Erfolg nur eine Frage der Zeit gewesen. Dafür kennt er viel zu viele gute Musiker, die nicht von ihrer Musik leben können: „Es ist leider beziehungsweise manchmal auch zum Glück nicht so, dass die Band mit den besseren Musikern mehr Erfolg hat. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“

Ihm ist bewusst, dass er großes Glück hat, dass es alles andere als selbstverständlich ist, wenn gleich die erste Single weltweit erscheint, zuletzt in Griechenland und Belgien.

Darauf, vermuten Branchenkenner, kommt es der Band bei ihrem Werbedeal vor allem an. Es gehe ihr weniger drum, viel Geld zu verdienen, als vielmehr darum, sich weltweit einen Namen zu machen. Unter normalen Umständen kann das nämlich dauern. Finns Freunde von der inzwischen recht erfolgreichen Gruppe Reamonn mussten erst drei erfolgreiche Alben liefern, bis ihre Plattenfirma den Mut aufgebracht hat, ihr viertes, im April erscheinendes Album auch in Japan, den USA und Australien rauszubringen.

Sein Wissen um die Trägheit der Branche lässt ihn pragmatisch auf die Frage reagieren, ob er jetzt nicht genau den Fehler macht, den er vor drei Jahren bei dem Soap-Angebot vermieden hat. „Klar bist du erst mal die Band aus der Nivea-Werbung“, räumt er ein, „aber ich glaube, dass es in erster Linie eine Chance ist, unsere Chance.“

Er spricht von Jet und den Dandy Warhols, die erst durch die Vodafone-Werbung so richtig bekannt geworden seien. Zugegeben: „Are You Gonna Be My Girl“ und „Bohemian Like You“ waren große Hits, so groß jedoch, dass wohl keine der beiden Bands mehr würdige Nachfolger hinbekommen wird.

„Jetzt liegt es an uns, was wir aus dieser Chance machen, ob wir gute Songs nachlegen, eine gute Liveband sind“, sagt Finn. Er lässt keinen Zweifel daran zu, dass es so einfach ist. Ist es das wirklich? „Es wäre was anderes, wenn wir die Band aus der Meica-Würstchen-Werbung wären.“ Wirklich?

Seinen Aushilfsjob bei P & C hat Finn nicht gekündigt, den Kollegen nur gesagt, dass er einige Zeit nicht kommen wird. „Die Tür ist noch offen“, sagt er. Es soll ein Scherz sein, denn, schiebt er nach: „Ich will mir keine Hintertürchen offen halten, weil ich glaube, dass man es nur schafft, wenn man Sachen hinter sich lässt.“ Deswegen hat er auch sein Studium aufgegeben – Musikwissenschaft.

Seine Begründung ist wenig überraschend: Zu theoretisch, zu trocken sei es ihm gewesen: „Ich wollte nicht halbherzig studieren und schon gar nicht halbherzig Musik machen.“

Im Gegensatz zu seiner Familie ist es ihm egal, dass er keinen Abschluss hat, „weil ich weiß, dass ich mir den ans Knie nageln könnte“.

Finn glaubt fest daran, es nun endlich geschafft zu haben; von seiner Musik leben zu können – selbst wenn Asher Lane doch nicht so erfolgreich werden sollten wie gehofft. Denn Finn Martin schreibt auch Songs für andere Künstler, etwa „Was immer du willst“ für Marlon, mit dem dieser beim „Bundesvision Song Contest“ den sechsten Platz belegte.

Auch für eine weitere Werbekampagne hat er einen Song geschrieben, der auch weltweit zu hören sein soll. Die Auftraggeber wollten ursprünglich, dass Finn auch diesen Song singt, doch der hat vorerst keine Zeit: „So richtig fassen kann ich das alles immer noch nicht“, sagt er in seiner WG-Küche.

Er hat sich doch noch ein Brötchen genommen: „Der Erfolg gerade ist einfach surreal.“

Zum Abschied wünsche ich ihm viel Glück.