: Trauer auf dem Grünen Hügel
BAYREUTH Er hielt starrsinnig an der Macht fest und war doch ein wahrhaft mutiger Festspielleiter: Zum Tod von Wolfgang Wagner
VON JOACHIM LANGE
Überraschend war es nicht, als letzte Nacht die Nachricht aus Bayreuth kam: Wolfgang Wagner ist ein halbes Jahr nach seinem 90. Geburtstag gestorben. Er war eine Ausnahmeerscheinung. Eigensinnig und polternd, aber auch risikobereit. Und vor allem beharrlich. Wenn es um die Werke und die Festspiele seines Großvaters Richard ging, dann kannte er keine Verwandten. Also verkrachte er sich nicht nur mit den Nachkommen seines Bruders Wieland, sondern auch mit den eigenen Kindern.
Doch er fand auch die Kraft zu später Versöhnung, so wie die mit seiner Tochter aus erster Ehe, Eva Wagner-Pasquier, die 2008 gemeinsam mit seiner Tochter aus zweiter Ehe, Katharina, seine Nachfolge in der Festspielleitung angetreten hat. Erst als er diesen letzten großen Kampf um eine dynastische Nachfolgeregelung auf dem Grünen Hügel gewonnen hatte, zog er sich, mit 89 Jahren, endgültig zurück.
Doch all das, was über Jahrzehnte die weltweite Wagner-Gemeinde, vor allem aber das Feuilleton und der Boulevard an Streiterei mit Gott, der Welt, dem Clan und den staatlichen Instanzen in München so zuverlässig unterhalten hat, wird letztlich wohl im Anekdotischen versinken. Und was dann bleibt, ist die ganz besondere historische Leistung eines Mannes, der schon wegen seiner über fünfzig Jahre an der Spitze der Richard-Wagner-Festspiele einen Ausnahmezustand bedeutet.
Gemeinsam mit Bruder Wieland übernahm er 1951 mit Anfang dreißig die Leitung der Festspiele, die genauso zum Selbstverständnis des Dritten Reichs gehört hatten wie Mutter Winifred zum Freundeskreis des Wagner-Verehrers Hitler. Auch wenn vor allem dem als Regisseur talentierteren Bruder Wieland das szenisch und ideologisch entrümpelte „Neubayreuth“ zugeschrieben wird, galt Wolfgang von Anfang an als ein geschickter Kulturunternehmer. Seit Wielands frühem Tod 1966 schließlich trug er die Alleinverantwortung. Dass er sich 1973 mit der Umwandlung des Familienunternehmens in eine Stiftung selbst die Option auf einen lebenslangen Vertrag als Festspielchef sicherte und die er dann auch bis zum Limit ausreizte, ist die eine Seite der Medaille. Die andere aber bleibt die entscheidende Anpassung des Unternehmens Bayreuth an die Strukturen eines vor allem von der öffentlichen Hand finanzierten Kulturbetriebes, ohne dabei dessen Alleinstellungsmerkmale aufzugeben!
Seine Inszenierungen galten als handwerklich korrekt, aber bieder. Doch es war eben auch Wolfgang Wagner, der es riskierte, 1976 mit Patrice Chéreau einen opernunerfahrenen Franzosen als Regisseur zu verpflichten und ihn mit seinem musikalisch revoluzzernden Landsmann Pierre Boulez gemeinsam den Jahrhundert-Ring zu übertragen. Der Chéreau-Ring war ein mutiger Coup, der am Ende gut ging. Sicher fehlen auf der Liste der Hügel-Regisseure der Nachkriegszeit einige wichtige Namen. Doch Götz Friedrich („Tannhäuser“, 1972) und Harry Kupfer („Der fliegende Holländer“, 1978) aus der damaligen DDR waren dabei. Auch das Wagnis mit Heiner Müllers „Tristan und Isolde“ (1993) und selbst Christoph Schlingensiefs „Parsifal“ gehen auf sein Konto.
Wie er auch für die Premiere von Stefan Herheims Nachfolgeinszenierung, in der der Norweger die braun kontaminierte Geschichte von Werk und Ort auf die Bühne brachte, offiziell noch die Verantwortung trug. Gerade dieser Wagemut und die Offenheit für Regiehandschriften jenseits des eigenen Bühnenuniversums des Regisseurs Wolfgang Wagner gehören zu seinen bleibenden Verdiensten. Sicher lässt sich etliches gegen den Bayreuther Festspielzirkus einwenden, aber die Sommerwochen auf dem Grünen Hügel sind einzigartig. Und das ist vor allem das Verdienst von Wolfgang Wagner. (Siehe auch Seite 14)