: Kein Traum, nirgends
WETTBEWERB Ratten als Motivationstrainer: In Stuttgart hat Hasko Weber die Uraufführung von Sibylle Bergs Auftragsstück „Hauptsache Arbeit!“ inszeniert
Das bedingungslose Grundeinkommen taugt vielleicht doch nicht als tragfähiges gesellschaftliches Modell. Hört man den Protagonisten in Sibylle Bergs neuem Stück „Hauptsache Arbeit!“ zu, kann man auf diesen Gedanken kommen. Denn eine solche finanzielle Absicherung böte diesen sieben Angestellten einer Versicherungsgesellschaft, die zusammen mit ihrem Chef einen Betriebsausflug zu Schiff machen, den Freiraum, sich über sinnvolle Arbeits- oder Freizeittätigkeiten definieren zu können. Anders jedoch als etwa noch bei Tschechow gut hundert Jahre früher bleibt den Berg’schen Figuren nicht einmal die Wunschvision eines besseren Lebens anderswo.
Berg hat ihre Figuren als Prototypen der erodierenden bürgerlichen Mitte angelegt, voll erwischt von der Krise der Arbeitsgesellschaft. An Bord des Ausflugsdampfers sind auch zwei Motivationstrainer, die wie Ratten aussehen und einen makabren Wettbewerb um Arbeitsplätze moderieren. Die Angestellten sagen Dinge wie: „Ich hätte nichts dagegen, ausgelöscht zu werden.“ Sie sehen sich als „Ersatzteillager der Gesellschaft“, täuschen alles vor – auch sich selbst – und pochen mit geradezu kindlicher Naivität darauf, dass es außer dem Recht zu arbeiten und angestellt zu sein, doch „so etwas wie ein Menschenrecht auf einen Neuwagen“ geben müsse.
Freiheit? Alles Gerede
Freiheit? Alles Gerede. „Ein freier Mensch sitzt doch immer mit einer Wodkaflasche vor Einkaufszentren und weigert sich, im Winter Notunterkünfte aufzusuchen“, verkündet einer der Angestellten, dem der Schauspieler Martin Leutgeb eine staunende Verwunderung über das Zur-Disposition-Stehen der Verhältnisse mitgibt.
Diese Sätze, die das Ungeheuerliche von Persönlichkeiten ohne Wesenskern, zusammengehalten allein durch das Korsett der Arbeitsroutine, en passant in den Smalltalk der Figuren um Alltagsbanalitäten mischen, müsste man eigentlich wirken lassen. Sie sind so typisch für Sibylle Bergs lakonischen Stil. Aber der Regisseur und Intendant Hasko Weber setzt bei der Uraufführung des Auftragswerks für das Stuttgarter Schauspiel allzu oft auf spaßige Betriebsamkeit und überflüssige Illustration. Dass der von Sinnkrisen auch nicht verschonte Chef sexuell erst stimuliert wird, wenn die Frauen dabei Tüten über dem Kopf haben, muss man nicht bebildern, indem das Einmannzelt verräterisch-eindeutig wackelt, nachdem er eine seiner Angestellten dort hineingezwungen hat. Florian von Manteuffel spielt die Figur ohnehin bis zur Persiflage überdreht als autoritären Macho mit Anfällen von jämmerlicher Verzweiflung. Anstatt dass einen die bittere Wahrheit hinter dem lockeren Parlierton des sarkastisch dahingleitenden Textes würgt, amüsiert man sich über solch billige Gags.
Suche nach Glück
Dass es auch anders geht, zeigen die ruhigeren, ganz auf die Schauspieler konzentrierten Passagen der Inszenierung. Sibylle Berg hat keine psychologisch-realistischen Charaktere gezeichnet. Ihre verdichteten, ins Absurde zugespitzten Momentaufnahmen von innerpsychischen Zuständen darzustellen, ohne dies der Lächerlichkeit preiszugeben, ist nicht einfach. Minna Wündrich, Anja Brünglinghaus, Marietta Meguid, Jonas Fürstenau, Ernst Konarek, Sebastian Schwab und Martin Leutgeb lassen den Figuren ihre Würde. Deren mal still-resigniertes, mal laut-aggressives Aufbegehren, ihr hilfloses Suchen nach Glück bekommt so etwas Anrührendes. Bijan Zamani als possierlich mit Segelohren und Stiftzähnen ausgestattete Motivationsratte entpuppt sich als der heimliche Chef im Ring, je drastischer die Rollenspiele um Arbeitsplätze werden. Sein Ratten-Kompagnon (Murat Parlak) betätigt sich vornehmlich als Klavierspieler.
Hasko Webers Inszenierung gibt sich überhaupt sehr musikalisch. Wenn sie nicht weiterwissen, singen die Protagonisten im Chor „La Paloma“ oder „Die Capri-Fischer“. Jeder für sich stehen sie dann an Deck oder in den Kabinen des Schiffs, das Bühnenbildner Stéphane Laimé als Spielort in den weiten Raum des Stuttgarter Schauspielhauses gebaut hat.
Die Intensität einer Marthaler-Inszenierung erreicht Weber mit diesem gerne vom Schweizer Theaterzauberer zelebrierten theatralen Mittel nicht ganz. Aber er umschreibt damit doch sehr treffend und atmosphärisch die Sehnsucht der Figuren nach etwas, was über ihr ödes Angestelltendasein hinausreicht. Denn deren Fantasien von kleinen Fluchten aus dem Alltag sind so formelhaft wie die Schlager, die sie singen. Schade, dass der Theaterdampfer nicht über die ganzen neunzig Minuten der Aufführung auf Kurs bleibt zwischen Komik und Tragik.
CLAUDIA GASS