EINE RELIGIÖSE VORSTELLUNG VON DEMOKRATIE
: Verschwendung in Thailand

Knapp über dem Boulevard

Isolde Charim

Die Protestaktion der thailändischen Oppositionsbewegung, die kürzlich literweise Blut vor die Regierungsgebäude kippte, wurde allgemein als symbolischer Akt beschrieben. Aber wenn es ein symbolischer Akt gewesen wäre, dann hätten die Demonstranten Wein oder rote Farbe auf die Straßen geschüttet – als Zeichen für ihr Blut und für ihr Erkennungsmerkmal (die roten Hemden). Aber sie haben ihr eigenes Blut, das Blut, das hunderten Oppositionellen abgezapft wurde, verschüttet. Das Erstaunliche und zugleich Befremdliche dabei war, wie sich das Blut bei diesem Vorgang verwandelt hat.

Wir kennen solche Verwandlungen aus dem katholischen Zusammenhang. Bei der Eucharistiefeier verwandelt sich ja bekanntlich das Brot in den Leib und der Wein in das Blut Jesu. Und die Transsubstantiationslehre legt Wert darauf, dass es sich dabei nicht um Symbole handelt. Durch das religiöse Ritual erfolge vielmehr eine magische Verwandlung der Substanz des Weines, der nicht mehr für Jesus stehe, sondern dessen Realpräsenz sei.

Sakralisierung des Blutes

In Thailand haben wir es nun mit einer Verkehrung der Eucharistie zu tun, mit einer Transsubstantiation eigener Art. Denn die Demonstranten haben hier Blut für Blut genommen, aber das Nachher-Blut ist nicht mehr dasselbe wie das Vorher-Blut: Das gespendete Blut verwandelte sich in ein geopfertes. Der biologische Saft wurde damit gleichzeitig zum Zeichen – ein Zeichen für ein anderes, für ein „heiliges“ Blut. Die Blutaktion war also eine Art semantischer Operation. Wenn wir uns davor ekeln, so ekeln wir uns vor dem Vorher-Blut. Dieses reale Ding wurde eben zum real thing, zur Realpräsenz einer Metapher gewissermaßen. Zeichen und Wirklichkeit sind dabei verschmolzen.

Was es aber heilig macht, brachte Natthawut Saikua ziemlich genau auf den Punkt: „Dieses Blut wird vom Körper und von der demokratischen Seele der Rothemden genommen“, so der Protestführer. Vom Körper kommt der materielle, aus der Seele der transzendente Saft. Demokratische Seele – was für eine religiöse Vorstellung von Demokratie! Daran zeigt sich aber deutlich, dass es nicht um einen symbolischen Akt ging, sondern um einen sakralen. Genauer gesagt: Es war die theatralische Inszenierung eines sakralen Akts. Das Ziel aber war eine vehemente Bildproduktion. Aber welches Bild wurde dabei erzeugt?

Das Ausleeren des Blutes auf die Straßen von Bangkok – aus den sehr prosaischen Plastikflaschen, in denen es gesammelt wurde – wurde zum Bild des Blutvergießens. Ein nicht unkompliziertes Bild. Die Demonstranten meinten, ihr Protest sei friedlich, sie vergießen nur ihr eigenes Blut, nicht das der anderen. Demnach würde es sich also beim Blutvergießen um das Bild eines Opferns handeln. Das trifft uns. Hört man hierzulande nicht immer wieder die Klage, heute sei keiner mehr bereit, sein Leben für die Demokratie oder den Staat zu geben? Während wir nicht mehr mit unseren Körpern für unsere politische Ordnung einstehen, stehen die Rothemden mit ihrem Blut für die Leiblichkeit ihrer demokratischen Seele – wenn auch als (reale) Inszenierung. Und wenn das Rote Kreuz die Verschwendung dabei beklagt – mit diesem Blut hätte man Menschen helfen, Leben retten können –, dann trifft der Vorwurf aufs biologische Blut zu, nicht aber aufs transsubstantiierte. Denn Opfern bedeutet immer Verschwendung.

Doppeldeutigkeit ist heikel

Die Demonstranten haben aber gleichzeitig auch ein ganz anderes Bild erzeugt. Wenn sie über die Blutlache vor dem Amtssitz sagen, auf seinem Weg ins Amt fahre Regierungschef Abhisit über das Blut des Volkes. Was er paradoxerweise real getan hätte (es kam nicht dazu), metaphorisch aber nicht. Daran zeigt sich aber: Das Bild des Opferns war gleichzeitig auch ein Bild des Krieges, des Kampfes. Nun hat es etwas Unangemessenes, wenn die Auseinandersetzung um das Ansetzen von Neuwahlen mittels Kampfbildern geführt wird. So wie diese auch nicht die adäquate Selbstdarstellung eines friedlichen Protests sind. Das Hantieren mit solchen doppeldeutigen Bildern ist heikel. Und prompt wurde ein paar Tage nach der „Blutaktion“ das, was in den Bildern angelegt war, zur neuen Parole der Regierungsgegner. Diese lautet nunmehr: „Klassenkrieg“.

■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien