: Kritik des Museumsbaus
KUNST UND DEMOKRATIE Die Kunst-Werke in Berlin zeigen mit der Ausstellung „Early Years“ ein aufschlussreiches Gruppenbild der engagierten, jungen polnischen Kulturszene
■ Die Ausstellung „Early Years“ findet im Rahmen des vom Polnischen Institut Berlin und vom Goethe-Institut in Kooperation mit der Stadt Warschau durchgeführten deutsch-polnisch-indischen Kulturprojekts „The Promised City“ statt. Durch Kulturaustausch, künstlerische und wissenschaftliche Veranstaltungen geht das Projekt den Verheißungen der Metropolen nach. Mit der Vortragsreihe „If I can make it there. Was die Städte versprechen“ und einem Vortrag des Osteuropahistorikers Karl Schlögel geht das Projekt am 29. März im HAU (Berlin) in die nächste Runde. Weitere Infos und Termine: www.promised-city.org
VON PHILIPP GOLL
Architekturen sind immer Zeichen ihrer Zeit, davon kann auch Warschau eine Geschichte erzählen. Der 1955 als „Denkmal der sowjetisch-polnischen Freundschaft“ erbaute Kulturpalast etwa: Spätestens 1989 hatte er ausgedient und saß als „Stalinstachel“ tief im politischen Selbstbild einer neuen, demokratischen, marktliberalen Gesellschaft. Wenn schon kein Abriss möglich ist, dann sollte zumindest eine „urbanistische Zerstörung“ erfolgen, durch das Umstellen des Palastes mit Bürotürmen, Hotels et cetera oder durch symbolische Eingriffe wie den Neubau des Warschauer Museums für Moderne Kunst, das bis 2014 auf dem Defilad-Platz vor dem Palast errichtet werden soll.
Als 2007 der Gewinnerentwurf des Schweizer Architekten Christian Kerez präsentiert wurde, war die Empörung groß. Zu zurückhaltend sei der Entwurf, sagten die Kritiker, der dem Palast ein Zeichen des politischen Umbruchs entgegensetzen sollte. Indes wird das Museum national oder wirtschaftlich vereinnahmt. Der Konflikt sei beispiellos in der jüngsten polnischen Geschichte, meint Sebastian Cichocki, der zu den KuratorInnen der Ausstellung „Early Years“ gehört, die derzeit in den Berliner Kunst-Werken zu sehen ist. Die Ausstellung mit 17 meist polnischen KünstlerInnen ist gleichsam ein Lagebericht von der Front, an der Sinn und Zweck des Museums verhandelt werden.
Welchen Eingriff der Museumsbau in das Leben der Bewohner Warschaus darstellt, dokumentiert der Videokünstler Artur Żmijewski. In seinem Film „Die Vertreibung der Händler aus dem KDT, Warschau, Defilad-Platz, 21. Juli 2009“ begleitet er die heftigen Ausschreitungen, in denen Händler gegen den Abriss der Markthalle protestieren, die dem Museum weichen muss. Der Film ist Teil seines Zyklus „Demokratien“, der davon handelt, wie sich Politik im öffentlichen Raum manifestiert. Erschreckend ist die Dynamik, mit der sich die aufgebrachten Massen ein Feindbild schaffen. Das Museum multipliziert sich als Fremdkörper. Es bedroht nicht nur die ökonomische Lebensgrundlage der Händler, es taugt auch als Projektionsraum für die generellen Ängste vor dem Neuen und für Fantasien über das Fremde – und plötzlich muss deshalb das eigene Leben gegen jüdische Interessen verteidigt werden.
Während Żmijewski sich konkret mit dem städtischen Umfeld des Museums beschäftigt, sind andere Arbeiten speziell an der Institution Museum interessiert. So etwa Anna Molskas Video „Die Klageweiber“ (2010), in der sie einen traditionellen Gesangsverein in einem sterilen Raum – der sicher nicht zufällig an den White Cube erinnert – ihre Lieder proben und Trauerrituale durchführen lässt.
Der Universalprovokateur Zbigniew Libera bezieht sich in seiner Panoramafotografie „Auszug der Menschen aus den Städten“ (2009) auf den Nationalmythos Polens. Ähnlich wie Jeff Wall mit seiner inszenierten Fotografie lässt Libera eine Gruppe Menschen aus einer desaströs-endzeitlichen Vorstadtumwelt ins Ungewisse ziehen. Überall verstreut auf der Straße liegen Müll und Technikschrott. Die Darstellung nimmt auf eines der bedeutendsten Artefakte des polnischen Widerstandsmythos Bezug, das „Panorama von Racławice“, das die siegreiche polnische Armee in der Schlacht bei Racławice im Jahr 1794 gegen die Russen zeigt. Glorreich und mythenbildend wirkt allerdings nichts in Liberas Fotografie – eher ist sie eine zynische Allegorie auf die gegenwärtige Lage der Nation, die durch Arbeitsemigration gekennzeichnet ist.
Eine ganz andere Art von Aufbruch zeigt die in Israel geborene Künstlerin Yael Bartana. Sie ist in der Ausstellung mit den ersten zwei Filmen („Träume Albträume“, 2007; „Mauer und Turm“, 2010) ihrer Polentrilogie vertreten, in der es um die Inszenierung einer Rückkehr der Juden nach Polen geht, von denen ein Großteil 1968 infolge einer hässlichen antisemitischen Kampagne das Land verlassen musste. Als Wortführer des Appells zur Rückkehr tritt Sławomir Sierakowski auf, Chefredakteur der Zeitschrift Krytyka Polityczna, die zum Sprachrohr einer linksintellektuellen Bewegung avanciert ist und aus dem kulturellen und politischen Leben des Landes längst nicht mehr wegzudenken ist. Sein Plädoyer lässt sich aber ebenso universell verstehen, wenn er von einer Gesellschaft spricht, in der das Eigene ohne das Fremde nicht bestehen kann, davon, dass die Regeln des freien Marktes keine allgemeingültigen sind und die um sich greifenden Nationalismen vehement bekämpft werden müssten. So spricht das junge und kulturell sehr ambitionierten Polen, dessen Botschaft viel zu selten über die Oder hinweggelangt.
„Early Years“ zeigt ein Gruppenbild der engagierten polnischen Kulturszene, das die hiesigen Kulturschaffenden inspirieren könnte. Ist doch nach dem Abriss des Palasts der Republik mit dem Berliner Stadtschloss und dem Humboldt-Forum auch hierzulande ein sehr problematisches nationales Prestigeprojekt par excellence in Planung, das die künstlerische Reaktion herausfordert.
■ Bis 2. Mai, Kunst-Werke Berlin