: Afrika hilft dem armen Berlin
Ein Krankenhaus in Kenia spendet 350 Kilo Kaffee und Tee für Berliner Bedürftige. Heute werden sie im Diakonieladen in Schöneberg verteilt. Normalerweise gibt es Genussmittel wie diese dort nicht
Von Maria Daldrup
Seit zwei Stunden steht Gisela M. vor dem Diakonieladen in der Rubensstraße 87. Es ist halb vier Uhr nachmittags und bitterkalt: Das Thermometer zeigt minus drei Grad. Die Kleidung der Rentnerin ist elegant: Sie trägte einen schwarzen Mantel und einen silbernen Schal, ihr Haar ist frisch gefärbt, das Make-up tadellos – nicht das übliche Bild einer Bedürftigen. Zum ersten Mal wartet die 63-Jährige an diesem Montag vor der Lebensmittelausgabe der evangelischen Initiative „Leib und Seele“ in Schöneberg. „Am Anfang scheut man sich“, meint Gisela M., aber ihre Rente reiche kaum zum Leben. „Jeder Mensch, der hier steht, hat sein Schicksal“, sagt sie, schaut in die Runde – und erntet scheue, aber zustimmende Blicke.
Etwa 25 Menschen stehen zusammen mit ihr an für ein oder zwei Tüten mit Kartoffeln, Weißkohl, Milch, Wurst oder Brot. Sie zahlen dafür den symbolischen Betrag von einem Euro. Immer montags zwischen 15 und 17 Uhr drängen sich der Reihe nach über 100 Bedürftige durch den kleinen Diakonieladen, den ersten Berlins. „Von denen, die berechtigt sind, ist nur ein Bruchteil regelmäßig hier“, sagt Pfarrer Thomas Lübke. Viele sind Hartz-IV-Empfänger oder Senioren mit wenig Rente, so Lübke. Die zwölf ehrenamtlichen Mitarbeiter des Ladens haben alle Hände voll zu tun.
Lübke ist ein engagierter Pfarrer: Er leitet das Projekt „Leib und Seele“, wo neben der Lebensmittelausgabe regelmäßig Rechtsberatungen oder ein Mittagstisch angeboten werden. Er hat auch die Medizinische DirektHilfe in Afrika (MDH) mitgegründet. Die hat jetzt dem kleinen Diakonieladen zu größerer Bekanntheit verholfen. Denn ausgerechnet aus Afrika – genauer: aus einem muslimischen Hospital im kenianischen Malindi – kam vor einer Woche eine ungewöhnliche Spende in Berlin an: über 350 Kilogramm Tee und Kaffee. Es klingt wie eine verkehrte Welt: Die Bundesrepublik gilt mit über zwei Billionen Dollar Bruttoinlandsprodukt als wohlhabend. Kenia hingegen hat nur ein Sechzigstel davon – und sammelt Tee und Kaffee für die Berliner Bedürftigen.
Das macht aber durchaus Sinn. „Normalerweise gibt es Kaffee nämlich nicht“, erklärt Frieda-Gemma Wolbrandt, eine der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. Früher sei es nach der Kaffeeausgabe zu Reibereien vor der Tür gekommen, erzählt sie. Denn nicht jeder habe etwas von dem Genussmittel abbekommen. Dank der zusätzlichen Lieferung aus Kenia bekommt heute Nachmittag jeder Bedürftige einen Beutel Kaffee oder Tee, erklärt Lübke.
„Das wird wohl nicht der beste Kaffee sein“, zweifelt Gisela M., die schon mal in einer Kaffeerösterei als Verkosterin gearbeitet hat. Dass die Spende aus Kenia kommt, macht sie traurig: „So weit ist es also gekommen mit Berlin.“ Der Diakonieladen aber lebt von Spenden wie dieser: Normalerweise kommen sie jedoch von Gemeindemitgliedern, Geschäften im Kiez und der Berliner Tafel. Finanziert werden die wenigen Quadratmeter Laden von der Kirchengemeinde und dem Kirchenkreis. Alle, die nicht hineinpassen, müssen draußen warten, bis ihre Nummer aufgerufen wird.
Es ist vier Uhr. Inzwischen ist Nummer 37 dran, Gisela M. hat die 83. Auf der Rückseite des Nummernkärtchen steht: „Damit Sie sich in der Warteschlange nicht erkälten, geben wir Nummern aus. Wenn Sie um den Häuserblock spazieren gehen, müssen Sie selbst abschätzen, wann Ihre Nummer aufgerufen wird.“ Ein Mitarbeiter reicht einen Karton mit dampfender Pizza herum. Gisela M. tritt den Heimweg an – unverrichteter Dinge. Sie friert und möchte nicht länger warten. Ihre Nummer gibt sie weiter.