: Der gekreuzte Blick
Ein Clash der Kulturen, für den es diese Woche den Grimme-Preis geben könnte: die deutsch-französische Satiresendung „Karambolage“ (Arte)
VON MARTIN SCHNEIDER
Die Kuh macht Muh: Das lernt jedes deutsche Kind. Der Satz ist aber falsch. In Frankreich machen Kühe nämlich Möh. Überhaupt sind viele Dinge in Frankreich anders als in Deutschland. Die Franzosen schlafen in größeren Betten und tunken morgens ein Marmeladenbrötchen in ihren Kaffee. In Frankreich hingegen sind bedeutende Errungenschaften des deutschen Erfindergeistes wie Eierpieker und Teetropfenfänger unbekannt. Seit Januar 2004 gibt es auf Arte eine Sendung, die sich solch feinen Unterschieden der deutschen und französischen Alltagskultur widmet. „Karambolage“ heißt sie, läuft jeden Sonntagabend um 20 Uhr und wird danach unter www.arte-tv.com/de/wissen-entdeckung/karambolage/104016,CmC=959830.html ins Netz gestellt.
Ihre Erfinderin, Claire Doutriaux, ist nun für den Grimme-Preis nominiert, die Gewinner werden am Mittwoch bekannt gegeben. Die 52-jährige Französin hat 17 Jahre in Deutschland gelebt. In Hamburg leitete sie zwei Filmkunsttheater und drehte dann für den WDR Dokumentarfilme. 1990 kehrte sie nach Frankreich zurück und arbeitete für den Kanal La Sept, aus dem später Arte France hervorging. Die Idee zu „Karambolage“ trug sie lange mit sich herum, bis sie die Programmchefs bei Arte endlich von dem Konzept überzeugen konnte. „Ich wollte den Franzosen das Leben in Deutschland nahe bringen“, sagt Doutriaux. „Nur wenn man vom Alltag, von konkreten Gegenständen ausgeht, kann man die Menschen für andere Kulturen begeistern.“
Ein typischer „Karambolage“-Beitrag sieht in etwa so aus: Ein weiß bekittelter Mann steht zwischen zwei Toilettenschüsseln. Die rechte stammt aus Deutschland, die linke aus Frankreich. Dann näselt eine Frauenstimme mit französischem Akzent aus dem Off: „Heute dringen wir ins tiefste Innere der deutsch-französischen Beziehungen vor.“ Die Kamera lenkt den Blick des Zuschauers ins Innerste der beiden Schüsseln, dann wirft der vermeintliche Wissenschaftler farbige Plastikkacke hinein. Das Ergebnis ist eindeutig: Da die Ausscheidungen im deutschen Klo in einem Auffangbecken landen, wird der Duft nicht vom Wasser gebremst. Es stinkt zum Himmel. Und das französische spritzt in Richtung desselben, wie der Wissenschaftler anhand des nassen Hinterteils einer Dummie-Puppe glaubhaft beweisen kann.
Während der knapp zwölf Minuten Sendezeit geht es aber natürlich auch darum, was Deutsche von Franzosen am offensichtlichsten trennt: die Sprache. In der Rubrik „Le mot, das Wort“ wird erklärt, was der Penis mit dem Penicillin zu tun hat und wie das Kondom in Deutschland zum Pariser wurde.
Bunt gemischt ist auch der Stil der Sendung. Alle Beiträge bestehen aus animierten Bildern, die von einer Stimme aus dem Off kommentiert werden. „Wir wollen nicht über, sondern mit Themen arbeiten“, sagt Doutriaux. Das Ergebnis erinnert an Kindersendungen wie „Die Sendung mit der Maus“, aber auch an die Trickfilme von Terry Gilliam bei „Monty Pythons Flying Circus“. Aufklären und bilden will die Sendung, aber durch Satire.
Produziert wird „Karambolage“ von einem zwölfköpfigen Team in Paris. Die Beiträge werden ausschließlich von Autoren geschrieben, die länger im jeweiligen Nachbarland gelebt haben. „Nur so entdecken wir Themen, die für Deutsche und Franzosen gleichermaßen interessant sind“, sagt Doutriaux. Deutsche Themen werden meist von Franzosen behandelt und umgekehrt. „Regard croisé“ – „gekreuzten Blick“ nennt sie dieses Prinzip.
Selbst für einen Sender wie Arte stellt eine solch im besten Sinne zweisprachige Sendung ein Experiment dar. Denn „Karambolage“ wird nicht mit Untertiteln gesendet, sondern in einer deutschen und einer französischen Sprachversion produziert. Doch inzwischen behauptet die Sendung einen festen Platz im „Arte“-Programm. Eine DVD ist in beiden Ländern seit längerem erhältlich, und Anfang März ist in Deutschland nun auch das Buch zur Sendung erschienen – rechtzeitig zur Verleihung des Grimme-Preises.