Im Kiez von Barcelona

Hippen empfiehlt In „Tapas“ von José Corbacho und Juan Cruz wird im Häppchen-Stil von den alltäglichen Dramen in einem gemütlichen spanischen Vorort erzählt

Der Zuschauer fühlt sich schnell heimisch in diesem Viertel, denn es gelingt den Regisseuren, ein intensives Gefühl für die Orte zu erzeugen

Von Wilfried Hippen

Auch im Kino liegen die Hauptgerichte manchmal schwer im Magen und so haben die kleinen Häppchen dort ebenfalls ihren Wert. Die beiden spanischen Regisseure José Corbacho und Juan Cruz weisen ja schon im Titel ihres Debütfilms darauf hin, dass hier eher leichte Vorspeisen gereicht werden. In „Tapas“ erzählen sie ein paar Geschichten aus dem Viertel, in dem sie aufgewachsen sind. L’ Hospitalet de Llobregat ist ein kleiner Vorort von Barcelona und dort geschehen die wichtigen Dinge in der Bar, im kleinen Laden, in den Wohnungen und auf der Straße.

Drei von diesen alltäglichen (und deshalb universellen) Dramen werden hier mit einem heiter-melancholischen Grundton erzählt. Da ist der Barbesitzer Lolo, der seine Frau Rosalia ständig beschimpft und als Arbeitstier ausnutzt, bis diese eines Tages den Koffer packt und ihn völlig verwirrt zurücklässt. Dann gibt es die schon eine Zeit lang geschiedene Verkäuferin Raquel, die eine Internet-Beziehung“mit einem Herrn in Argentinien unterhält, bei der dann aber plötzlich der Sohn einer Kundin vor der Tür steht, um ihren Videorekorder zu reparieren. Es kommt, wie es kommen muss, aber er ist viel zu jung und dann meldet sich auch noch Besuch aus Buenos Aires an.

Die spannendste und widersprüchlichste Figur ist schließlich die Rentnerin Conchi, deren krebskranker Mann sie immer wieder bittet, ihm beim Freitod zu helfen, während sie mit allem Mitteln versucht, seine letzten Tage so schön wie möglich zu machen. Dafür braucht die resolute Dame mehr Geld als ihre karge Rente, und so wird sie zur Drogendealerin der Viertels, die in Lolos Bar Pillen und Pulver an ihre junge Kundschaft verkauft, was dem schlecht gelaunten Barbesitzer nicht lange verborgen bleibt. Dies führt dann zu einer Auseinandersetzung, bei der Lolo schnell merkt, dass nicht jede Frau so kuscht wie seine eigene.

Solche Szenen, von denen den beiden Regisseuren eine ganze Reihe gelungen ist, sind die Appetithappen des Films. Da alle sich im kleinen Viertel ständig über den Weg laufen, können Corbacho und Cruz leicht zwischen den Geschichten wechseln und die Hauptakteure der einen sind die Nebenfiguren der anderen.

Auf diese Weise werden auch noch viele kleine Geschichten nebenbei erzählt und ein paar pittoreske Figuren als würzige Beilagen mit aufgetischt. So etwa der chinesische Gelegenheitsarbeiter, den Lolo als Hilfe einstellt, damit er seine Frau suchen kann. Wenn er in der Küche ist, wird aus dem Schnippeln des Gemüses eine Kung Fu-Übung, und die Tapas schmecken auch viel besser. Er ist es schließlich auch, der mit einer fernöstlichen Weisheit, die auch aus einem Glückskeks stammen könnte, Lolos Problem auf den Punkt bringt.

Der Zuschauer fühlt sich schnell heimisch in diesem Viertel, denn es gelingt den Regisseuren, ein intensives Gefühl für die Orte zu erzeugen. Schon nach ein paar Minuten kennt man den Weg von der Bar zum Supermarkt, wo zwei Verkäufer darüber plaudern, welche Touristinnen in welchen Monaten an die Stände kommen, und dass man als Spanier „schon sehr blöd sein muss“, um keine davon abzubekommen. Natürlich entpuppt sich der Großredner als genau solch ein Blödmann während sein schüchterner Freund ja jene stürmische Affäre mit der Verkäuferin Raquel erleben darf. In deren kleinem Laden tratschen die Hausfrauen des Viertels ständig über alles und jeden und auch solche kleinen Szenen sind mit viel Atmosphäre und Witz inszeniert. Nach den 93 Minuten des Films wäre man gerne noch etwas länger in diesem Viertel zu Besuch geblieben, aber von „Tapas“ soll man schließlich nicht satt werden.