piwik no script img

Archiv-Artikel

Nach Japan der Verwesungsmodus

NACKTE SCHNULZEN Maximilian Hecker hat sich nach einer Schaffenskrise gefangen. Der geläuterte Bartträger veröffentlicht ein neues Album: „I am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son“

In einem unkontrollierten Bewusstseinsstrom stülpt er sein Innerstes nach außen

VON THOMAS WINKLER

Am besten beginnen wir dort, wo die Verwandlung am haarigsten ist. Denn dort, im sonst stets glatt rasierten Gesicht von Maximilian Hecker, sprießt nun ein Bart. Er ist nicht lang, dieser Bart, eher so einer, der nur kurz drüber ist über den Zustand als Dreitagebart. Aber er war schon mal länger, versichert sein Besitzer, ungepflegt und zottelig, damals, als das noch im Gange war, was er heute den „Verwesungsmodus“ nennt.

Dieser Verwesungsmodus wurde gestartet nach einer magischen japanischen Nacht und führte schlussendlich zu „I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son“. Das sechste Album markiert einen Wendepunkt im Leben von Hecker und einen einigermaßen dramatischen Stilwechsel des Sängers.

Eingespielt hat Hecker das Album ganz allein im eigenen Wohnzimmer. Er hat die Gitarre gezupft, auf dem Klavier geklimpert und hat gesungen. Die Texte und Melodien frei improvisierend, mal kurz nach dem Erwachen, mal eher übermüdet, versuchte Hecker vorzudringen zum reinen, unverfälschten Gefühl, zu, wie es im Bandwurmtitel des Albums heißt, „nothing but emotion“.

Die spartanische Aufnahmepraxis hat Hecker gutgetan. Früher drohten seine eh schon gefühligen Songs, die stets von unerfüllter Liebe und ewiger Einsamkeit handelten, bisweilen am eigenen Bombast zu ersticken. Damals habe er zwei, drei Tage an einem einzigen Liedtext gefeilt, erzählt Hecker. Diesmal ist es ein klingender, bewusst möglichst unkontrollierter Bewusstseinsstrom, mit dem er sein Innerstes nach außen zu stülpen versucht.

Dass er das schon immer so radikal wie kaum jemand sonst getan hat, brachte ihm sogar schon Lob der New York Times ein, die sein Debütalbum unter die zehn besten Platten des Jahres 2001 wählte. Bei anderen hat ihm dieser bedingungslose Wille zur authentischen Selbstdarstellung allerdings den Ruf einer Heulboje eingetragen. Hecker weiß das, er spürt, sagt er, „in Deutschland eine gewisse Aggression“ gegen seine Kunst: „Die Leute zweifeln an, dass ich das ernst meine. Andere glauben, ich würde sie veräppeln. Und der Rest findet das, was ich mache, abgedroschen und aufgesetzt. Aber ich meine es ernst. Alles.“

In Asien aber, sagt er, „nimmt man mir das ab“, und meint diese sehr ernst gemeinte, durch keinerlei Ironie abgemilderte Selbstentblößung. In Asien, vor allem in Korea und China, hat sich der 32-jährige Hecker tatsächlich in den vergangenen Jahren so etwas wie den Status eines Teeniestars ersungen. Dort warten kreischende Minderjährige auf ihn, die, so hat er festgestellt, „den Eindruck vermitteln, sie wären in mich verliebt“.

Das wiederum stürzt den jungen Mann jedoch in Verwirrung. Nicht er als Mensch wird geliebt, sondern die Projektion, das Wunschbild, das die Anhänger selbst erschaffen haben. Aber weil Hecker es „nie interessant fand, eine Rolle zu spielen“, kann er nur schwer trennen zwischen dem Menschen Hecker und der Kunstfigur, die ihm „wie ein Korsett“ erscheint.

Die Erwartungen an diese Kunstfigur trieben ihn 2008 in eine existenzielle Sinn- und Schaffenskrise. Die Versagensängste und die Unzufriedenheit mit dem Beruf kulminierten während einer Tour durch Asien. In Tokio schließlich torkelte Hecker, auch geplagt von den Folgen von Schlafentzug und einer Überdosis Alkohol, in einem „Moment der Haltlosigkeit“ durch das Vergnügungsviertel Shibuya, hatte das „Gefühl, sich aufzulösen“, und begann den dort auf Kundschaft wartenden Prostituierten was vorzusingen. Eine dieser Frauen erschien ihm „ein bisschen wie ein Engel“. Ihr hat er in dem Song „Nana“ nun ein Denkmal gesetzt.

Im Morgengrauen flog Maximilian Hecker wieder nach Hause und setzte den Verwesungsmodus in Gang. Fortan trug er nur noch Bequemes wie schlabberige Jogginghosen, rasierte sich nicht mehr; er „wollte unattraktiv sein, nicht mehr für die Öffentlichkeit verwertbar, weder als Mann für die Frauenwelt noch als Musiker“. Dass er den Bart wachsen ließ, war ihm schon „Rebellion gegen die Erwartungshaltung und die übliche Strukturen im Musikgeschäft“.

Die hebelte Hecker auch aus, indem er einfach hinunter vor seine Wohnung ging und auf der Torstraße manchmal bis zu sechs Stunden, wenn es nicht zu kalt war, Straßenmusik machte. Geld verdiente er mit diesen „öffentlichen Meditationen“, wie er sie nennt, keines, aber er gewann die Freude an der Musik wieder.

Der größte Protest aber gegen den alten, vom öffentlichen Erwartungsdruck gequälten Hecker ist die Absage an die wahre Liebe. An den Glauben an jene romantische Idee, die immerhin sein gesamtes Schaffen dominierte. „Sehr befreiend“ sei das, glaubt der neue Hecker: „Denn wenn man denkt, dass es eh nicht klappt, wird man auch nicht mehr enttäuscht.“

Tatsächlich kann Hecker heute sogar ganz gefasst erzählen, dass die Telefonnummer, die ihm Nana in jener Nacht in Shibuya auf einen Zettel schrieb, nur ins Nichts führte. „Ich hab versucht anzurufen“, sagt er, „aber aus irgendeinem Grund komme ich nicht ins japanische Netz.“ Die Hoffnung, die wächst dann eben doch immer weiter. Wie so ein Bart auch.

■ Maximilian Hecker: „I Am Nothing But Emotion, No Human Being, No Son, Never Again Son“ (Blue Soldier/RTD). Live: 20. 5. im Heimathafen