: Gegenwind für EZB-Gegner
VON ERIC BONSE
Jetzt hat es auch Peer Steinbrück getan. In einem Interview hat er die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisiert. Sie laufe – wegen der Inflation – auf eine „schleichende Enteignung“ der Sparer heraus und schaffe einen „unerträglichen Zustand“.
Eigentlich könnte man diese Äußerung als Wahlkampfmanöver abtun. Schließlich hat der SPD-Kandidat noch vor Kurzem das Gegenteil gesagt und die EZB für ihre Antikrisenpolitik gelobt. Angesichts miserabler Umfragewerte hat er nun wohl seine Meinung geändert.
Doch leider offenbart diese Kehrtwende, wie dürftig die deutsche Debatte über die Eurokrise und die EZB ist. Nicht einmal der Herausforderer von Kanzlerin Merkel ist in der Lage, über die Tagespolitik hinauszudenken und das gehobene Berliner Stammtischniveau zu überwinden.
Dabei sollte es der ehemalige Finanzminister besser wissen. Wir brauchen keine Debatte über angeblich zu niedrige Zinsen, auf die Steinbrück und Merkel ohnehin keinen Einfluss haben. Viel wichtiger wäre es, über das Mandat der EZB zu reden. Über dieses Mandat ist nämlich ein brisanter, hochpolitischer Richtungsstreit entbrannt.
Was dürfen die Frankfurter Währungshüter? Sollen sie sich nur dem Kampf gegen die Inflation verschreiben? Oder können sie auch – wie EZB-Chef Draghi versprochen hat – Staatsanleihen aus Krisenländern ankaufen, um den Euro zu retten? Sollen sie vielleicht sogar einen Beitrag zum Kampf gegen Rezession und Arbeitslosigkeit in Europa leisten?
Das ist die Strategiedebatte, die Steinbrück anstoßen sollte. In anderen Ländern wurde sie längst geführt und entschieden. Gerade hat die Bank of England angekündigt, dass sie ihren Leitzins erst dann wieder erhöhen wird, wenn die Arbeitslosenquote unter 7 Prozent gefallen ist. Die Amerikaner machen es genauso.
Doch in Euroland ist das tabu. Die EZB auf eine Senkung der Arbeitslosigkeit verpflichten? Undenkbar, trotz einer katastrophalen Quote von 12 Prozent. Die Rezession mit einer lockeren Geldpolitik lindern? Nicht vorgesehen.
Hierzulande werden ganz andere Kämpfe ausgetragen. Professoren streiten erbittert über die Frage, ob Draghi das Recht hatte, sein Anleihekaufprogramm OMT aufzulegen. Allein schon mit der Ankündigung – das Programm wurde noch nie eingesetzt – habe er sein Mandat überschritten.
Diese Diskussion ist alles andere als akademisch. Die Professoren streiten zwar über das EZB-Mandat, doch sie meinen die Währungsunion. Sie möchten den Euro-Rettern den entscheidenden Trumpf aus der Hand schlagen, der vor einem Jahr zur vorläufigen Beruhigung der Krise führte.
Im Kern ist es eine hochpolitische Debatte. Denn warum zog Draghi die OMT-Karte? Weil die politischen Bemühungen gescheitert waren. Weder die harten Sparprogramme der Troika noch die Eurorettungsschirme hatten die Lage beruhigt. Von Merkels Fiskalpakt ganz zu schweigen.
■ ist Korrespondent der taz in Brüssel. Der Euro beschäftigt den studierten Politikwissenschaftler schon seit den 90er Jahren.
■ An dieser Stelle wechseln sich wöchentlich unter anderem ab: Sabine Reiner, Jens Berger und Rudolf Hickel.
Doch die Politik hat ihr Scheitern bis heute nicht eingestanden. Gebannt starrt sie auf das Bundesverfassungsgericht, das im Herbst über eine Klage gegen das OMT entscheiden will. Eine offensive Debatte zur Verteidigung der Frankfurter Notenbänker sucht man vergebens – jedenfalls bei Regierung und Opposition.
Immerhin machen nun Experten mobil. Angestoßen vom neuen Chef des DIW, Marcel Fratzscher, halten führende deutsche und internationale Wirtschaftswissenschaftler gegen die EZB-Kritiker. Mehr als 200 Forscher haben einen Aufruf zur Verteidigung des OMT-Programms unterschrieben. Es sei „eine der geschicktesten und erfolgreichsten Ankündigungen in der Geldpolitik seit Jahrzehnten“.
Damit kommt endlich Bewegung in die deutsche Diskussion. Die konservativen EZB-Gegner, die bisher den Ton angaben, sind in die Defensive geraten. Doch in der Politik ist der frische Wind noch nicht angekommen. Steinbrück hätte dies ändern können. Er hat seine Chance verpasst – wieder einmal.