Wieder aktuell: Die Kunst, zu sterben lernen

Kardinal Lehmann diskutierte beim „Stadtgespräch“ über Sterbehilfe. Eine Patientenverfügung hat er nicht ausgefüllt

Bremen taz ■ Der große Gleichmacher Tod war diesmal für eine Menge Einigkeit gut. Kardinal Karl Lehmann und Sterbehilfe-Sympathisantin Dagmar Borchers, Juniorprofessorin für Philosophie an der Uni Bremen, fanden beim „Stadtgespräch“ der Bremer Kirchen zum Thema „In Würde sterben“ nicht nur einen milden Ton, sondern gar Berührungspunkte. „Man muss die Behandlung von Sterbenskranken nicht um jeden Preis verlängern“, sagte Lehmann und lavierte vorsichtig um eine kirchliche Verurteilung des Selbstmords herum. Die Erfahrung zeige aber: „Wenn Patienten über die Möglichkeiten von Schmerztherapie und Hospiz-Fürsorge informiert werden, verstummt der Ruf nach der tödlichen Spritze im Allgemeinen schnell.“

Erfreulich, kontert Dagmar Borchers. Doch ihr gehe es um das Selbstbestimmungsrecht der wenigen, die nach reiflicher Überlegung und medizinischer und juristischer Prüfung immer noch zum Sterben entschlossen sind. Präziser: „den assistierten Freitod vollziehen“ wollen. Ein Begriffsungetüm für etwas, wogegen sich das Denken gerne sträubt. „Wir sind in der Spaßgesellschaft nicht vorbereitet auf das Sterben“, sagte Borchers. Die Kunst, zu sterben, neu lernen – hier kann der Kirchenmann voll zustimmen. Die Erinnerung an das Mittelalter lag nahe, als die Angst vor dem Höllenfeuer Gemeinschaften hervorbrachte, die Sterbenden in den letzten Stunden beistanden.

Die Höllenangst wurde inzwischen abgelöst von der Angst vor der „Apparatemedizin“, vor dem einsamen Sterben an Schläuchen. Susanne Starr, Strahlenmedizinerin am Klinikum Mitte, suchte dieses Klischee zu entkräften: Heute könne ein Todkranker schmerzfrei therapiert werden und im Kreis seiner Angehörigen sterben. Allerdings scheuten sich viele Angehörige davor, Sterbende zu Hause zu begleiten, und Patienten seien im Krankenhaus unter Umständen sogar besser aufgehoben.

Die Patientenverfügung, oft als wirksame Versicherung gegen das qualvoll verlängerte Sterben gehandelt, stieß in der Runde auf Misstrauen. Bürgermeister und Ex-Richter Jens Böhrnsen kritisierte die unsichere Rechtslage. „Wie lange darf eine Patientenverfügung zurückliegen, um noch verbindlich zu sein? Reicht es wirklich, wenn sie mündlich vorliegt?“, fragte Lehmann. Er selbst habe keine Verfügung ausgefüllt, wie sie unter anderem von den Kirchen vorformuliert bereitsteht. Das Vertrauen in ein „menschliches Gesicht zwischen den Apparaten“ könne kein bürokratischer Akt ersetzen, so Lehmann. Susanne Starr hat beobachtet, dass ein gesunder Mensch, der für seinen Tod in ferner Zukunft Vorkehrungen trifft, „lebenswert“ anders definiert als ein Kranker: „Die meisten Schmerzpatienten wollen leben.“ Einige Verfügungsvorlagen – wie etwa von der Sterbehilfe-Organisation Dignitas – schließen schon die Ernährung über eine Magensonde aus, die aus Starrs Sicht die Lebensqualität Schwerkranker nur wenig beeinträchtigt.

Als „unmenschlich“ kritisierte die Ärztin die Zentralisierung des Bremer Klinikwesens, das Sterbende aus ihrem nachbarschaftlichen Umfeld reiße. Böhrnsen parierte die Kritik. Immerhin gehe es darum, die vier Standorte zu sichern. abe