: Vielstimmiger Polizeiauftritt
Seit gestern steht ein Polizist vor Gericht, weil er angeblich einen Demonstranten eine Flasche werfen sah. Seine Kollegen bestätigen das nicht. Deutlich wird: Am 1. Mai herrscht auch bei der Polizei Chaos
Von Uta Falck
Es war ein Vorfall wie so viele am 1. Mai in Kreuzberg: Eine Hundertschaft Polizisten postierte sich gegen 23 Uhr auf der Kreuzung Wiener, Ecke Skalitzer Straße, und man nahm reichlich rüde einen Menschen fest. Dies beobachtete der Pädagogikstudent Juan S., der gerade mit seinen Freunden und, wie er sagt, „drei Hähnchen“ aus einem Imbiss kam. Beim Anblick mehrerer Beamter, die einen Menschen bearbeiteten, der bereits auf dem Boden lag, fühlte er sich unbehaglich.
Juan S. bat die Beamten, sie sollen sich beruhigen, der Mann könne ihnen doch nicht mehr gefährlich werden. Plötzlich hörte er, wie der Polizist Robert R. seinen Kollegen zurief, sie sollten den Kritiker festnehmen, der Student hätte eine Flasche in seine Richtung geworfen. Der damals 24-jährige Student wurde mitgenommen, um fünf Uhr morgens vernommen und erst gegen Abend dem Haftrichter vorgeführt. Dieser entließ ihn kurz darauf mit der Auflage, sich zweimal wöchentlich bei der Polizei zu melden.
Im August 2002 fand der erste Prozess gegen Juan S. vor dem Amtsgericht statt. Die Kollegen von Robert R. sagten als Zeugen aus. Sie hatten die Tat nicht gesehen, außerdem gab es in ihren Aussagen kaum Übereinstimmung. Man konnte sich weder auf eine Tatzeit noch einen Tatort, noch einen Tathergang einigen, sodass der Richter Juan S. vom Vorwurf des Landfriedensbruches freisprach. Die Berufungsverhandlung wurde im Februar 2003 verworfen. Juan S. war nach neun Monaten endlich allen Ärger los.
Für Robert R. begann er nun. Der glatzköpfige, bullige Polizist ist wegen Freiheitsberaubung angeklagt, weil er seinen Kollegen wahrheitswidrige Gründe für eine Verhaftung nannte. Gestern begann der Prozess. Doch der 37-Jährige blieb bei seiner Aussage. Er habe Juan S. gesehen, als er eine Flasche in Richtung der Beamten warf. Er selbst habe S. festgehalten und dann an den Zugführer Olaf Sch. übergeben. Er habe die Situation noch in guter Erinnerung.
„Eine Verhaftung am 1. Mai ist meist mit sehr viel rennen verbunden, oft tauchen die in der Masse dann unter“, sagte der Angeklagte. Doch S. habe geworfen, sich umgedreht und weiter mit seinen Freunden gesprochen. Robert R. konnte ihn geradezu gemütlich verhaften.
Doch auch diesmal will keiner der Kollegen seine Angaben stützen. Zugführer Olaf Sch. sagte, er habe Juan S. anhand einer Personenbeschreibung verhaftet, die er von Robert R. erhielt. Andere Kollegen erinnern sich noch schlechter: „Da lagen zu viele 1. Mais dazwischen, zu viele Demonstrationen“, so der Beamte Falko Z.
Juan S. erklärte vor Gericht, es sei ihm nach wie vor ein Rätsel, warum er beschuldigt worden war. Vielleicht sei der Grund, dass er zuvor die „krasse“ Behandlung des Mannes durch drei Beamte beanstandet hatte.
Des Rätsels Lösung findet sich vielleicht am 31. März: Dann wird der Prozess mit weiteren Zeugen fortgesetzt.