: Der große grüne Schwarze
ORTSTERMIN Friedbert Pflüger (CDU) hat ein Buch über Richard von Weizsäcker geschrieben. Renate Künast (Grüne) stellt es vor. Die Präsentation gerät zur überparteilichen Liebelei
VON GEREON ASMUTH
Friedbert Pflüger ist lange vor der Zeit da. Renate Künast kommt sieben Minuten zu spät. Gleich zu Beginn des öffentlichen Tête-à-Têtes im ARD-Hauptstadtstudio ist somit der kulturelle Unterschied zwischen CDU und Grünen dokumentiert. Für den Rest des Abends aber muss man Differenzen suchen.
Vordergründig geht es um Richard. Von. Weizsäcker. Bundespräsident von 1984 bis 1994. Christdemokrat. Bedeutender Redner. Im April 90 Jahre alt. Und schlicht eine „herausragende Persönlichkeit der Bundesrepublik“, wie es auf dem Einband des bei der Deutschen Verlagsanstalt erschienenen Buchs „Mit der Macht der Moral“ heißt. Geschrieben hat es Friedbert Pflüger – einst Weizsäckers Redenschreiber, später CDU-Bundestagsabgeordneter, heute Politikwissenschaftler am Kings’s College in London. Und zur Präsentation des Buchs hat der Verlag Renate Künast geladen, die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion.
Das ist die offizielle Sprachregelung. Es gibt aber noch eine Ebene dahinter. Vor seiner Zeit als Bundespräsident war Weizsäcker drei Jahre Regierender Bürgermeister von Berlin. Pflüger wäre gern Bürgermeister geworden. Im Jahr 2006 scheiterte er an den Wählern, 2008 stellte ihn seine Partei nach einem internen Machtkampf kalt. Und Künast wird seit Monaten als Spitzenkandidatin der Grünen für die Berlinwahl 2011 gehandelt. Umfragen sehen die Grünen in Berlin nahezu gleich auf mit CDU, SPD und Linken. Offen ist, wer als Erster durchs Ziel geht. Laut Forsa trauen 60 Prozent der Berliner Renate Künast zu, den amtierenden Regierenden Klaus Wowereit aus dem Roten Rathaus zu vertreiben. Als Chefin einer grün-rot-roten Koalition. Oder einer grün-schwarz-gelben.
Rückblicke
Pflügers Buch ist keine umfassende Biografie. Er konzentriert sich auf Weizsäckers wichtigste politische Themen: die deutsche Einheit. Seine Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985. Oder seine Kritik am Parteienstaat. Und alle sind eine wunderbare Folie, um eine offenbar übersehene schwarz-grüne Liebelei zu belegen.
Drei Tage nach dem Mauerfall, erinnert Pflüger, habe Weizsäcker vor einer überschnellen deutschen Einheit gewarnt - man müsse zusammenwachsen. Und Künast sieht darin eine Nähe zur grünen Einheitsskepsis. 1985, erinnert Pflüger, habe mit Weizsäcker erstmals ein führender Konservativer den 8. Mai 1945 ausschließlich als Tag der Befreiung bezeichnet – und nicht auch als Tag der Niederlage. „Das war für viele von uns die zweite Befreiung“, sagt Künast. Diese Rede würde sie heute noch fünfmal unterschreiben.
Alle Zeit, erinnert Pflüger, habe Weizsäcker den verkrusteten Parteienstaat kritisiert. „Die Partei war für ihn eher ein notwendiges Übel als eine Heimat“, sagt Pflüger. „Da haben wir uns getroffen“, ergänzt Künast und erinnert an die allererste schwarz-grüne Kooperation – das Volksbegehren „Neuwahlen jetzt“, mit dem die Berliner CDU unter Weizsäcker zusammen mit der Alternativen Liste den SPD-geführten und von Bauskandalen geschüttelten Senat absetzen wollte. Das war 1981.
Erst als Pflüger Weizsäckers Unterstützung von DDR-Akteuren wie Manfred Stolpe lobt, der zwar mit dem SED-Regime zusammengearbeitet habe, aber immer im Dienste der guten Sache, wehrt Künast ab: „Ich muss mal sagen, dass ich nicht an allen Stellen die gleiche Meinung habe wie Richard von Weizsäcker.“ Fast hatte man einen anderen Eindruck gewonnen.
Pflüger wird rot
Am Ende will der Moderator doch etwas über aktuelle Perspektiven für Schwarz-Grün wissen. Künast weicht gekonnt aus: „Wenn wir überall so große Leute hätten wie Weizsäcker, wäre es ganz einfach.“ Über Zusammenarbeit werde pragmatisch anhand von Inhalten entschieden. Und dabei müssten grüne Merkmale sichtbar bleiben. Der Atomausstieg zum Beispiel. Das aber ist Bundespolitik. Für eine Koalition im Roten Rathaus wäre es weder Thema noch Hindernis.
Pflüger hingegen wird deutlicher: „Ich war schon immer für Jamaika in Berlin. Bisher hatten wir nur immer gedacht, unter der Führung der CDU.“ „Sie sagen jetzt nicht …“, fällt ihm Künast etwas erschrocken ins Wort. Und Pflüger wird rot. Knallrot.
Später trinkt Pflüger noch ein Bier, Künast nimmt einen Weißwein. Und damit wurde zum zweiten Mal an diesem Abend der kulturelle Unterschied zwischen dem Schwarzen und der Grünen dokumentiert.