: 100 Fragen zum deutschen Sein
Der hessische Innenminister Volker Bouffier legt das Unionskonzept zur Reform des Einbürgerungsrechts vor. Der Werte- und Wissenstest stellt die Gesinnungsfragen, die den baden-württembergischen Test in Verruf gebracht hatten, nur noch indirekt
AUS WIESBADEN KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Beantworten Sie bitte die folgenden drei Fragen: Nennen Sie sieben Bundesländer und ihre Hauptstädte. Beschreiben Sie den Grundgedanken der Gewaltenteilung. Welche Versammlung tagte 1848 in der Paulskirche? Millionär werden Sie mit den richtigen Antworten sicher nicht. Aber bald vielleicht deutscher Staatsbürger. Und das ist ja auch schon etwas.
100 Fragen stehen im neuen Einbürgerungsleitfaden „Wissen und Werte in Deutschland und Europa“, den der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) gestern in Wiesbaden vorstellte. Der mit den anderen Innenministern der unionsgeführten Bundesländer abgestimmte Fragenkatalog ist Teil eines Programms, mit dem die bisherige Einbürgerungspraxis „bundesweit verbessert“ werde, so Bouffier. Das Konzept orientiere sich an den Normen klassischer Einwanderungsländer und soll vor allem „die Entstehung von Parallelgesellschaften in Deutschland verhindern helfen“.
Neben die Verpflichtung auf den Besuch eines Einbürgerungskurses, an dessen Ende dann wenigstens 50 Prozent der Fragen aus dem Wissens- und Wertekanon beantwortet werden müssen, tritt als neues Element auch die Eidesleistung auf die Verfassung. Wie schon jetzt soll sich der angehende Neudeutsche zuvor noch „ausreichende Deutschkenntnisse“ aneignen und den Nachweis dafür erbringen, dass er schon mindestens acht Jahre hier lebt. Im Rahmen einer Loyalitätserklärung muss er sich zudem zu den Rechten und Pflichten eines deutschen Staatsbürgers bekennen und erklären, dass er die hier geltenden Rechtsnormen respektiert. Zum „Ausschluss verfassungsfeindlicher Bestrebungen“ bleibt auch die Regelanfrage beim Verfassungsschutz erhalten. Im Mai auf der nächsten Innenministerkonferenz soll der Entwurf angenommen und anschließend im Bundestag eingebracht werden.
Sinn und Zweck des Fragenkatalogs sieht der Minister vor allem darin, dass sich die Einbürgerungswilligen ohne Ausnahme ausführlich mit Geschichte, Politik, Wirtschaft und Kultur ihres zukünftigen Heimatlandes beschäftigten müssten: „Nur wer weiß, wie das Staatswesen und die Gesellschaft organisiert sind, kann auch die Werteordnung dieses Landes verstehen, beispielsweise die Meinungsfreiheit oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau.“ Anders als in Baden-Württemberg wird im neuen Test auf direkte Fragen nach der Gesinnung des Einbürgerungswilligen verzichtet. Allerdings werden durchaus Fragen etwa nach den in Deutschland erlaubten Erziehungsmethoden oder nach dem Sinn der gesetzlichen Schulpflicht gestellt. Zudem fragen die „Deutschenmacher“ zukünftig wohl auch danach, welche Möglichkeiten Eltern haben, die Partnerwahl ihres Sohnes oder ihrer Tochter zu beeinflussen. Wer da „Zwangsverheiratung“ hinschreibt, hat schon – fast – verloren, auch wenn er ansonsten alle anderen Fragen „richtig“ beantwortet hat. Vor der Verweigerung der Einbürgerung werde allerdings noch einmal das Gespräch mit dem Kandidaten gesucht. Bleibe der bei seiner Haltung, könne er kein Deutscher werden, so Bouffier.
„Unspektakulär“ und in weiten Teilen auch „unstrittig“ nannte der Fraktionsvorsitzende der SPD im Hessischen Landtag, Jürgen Walter, den Entwurf von Bouffier. Das meiste davon werde schon praktiziert. Die Grünen sprachen von Wahlkampfgetöse. 50 Prominente, darunter Ver.di-Chef Frank Bsirske und der Autor Roger Willemsen, riefen dazu auf, die derzeitigen Kommunal- und Landtagswahlkämpfe nicht auf dem Rücken der Migranten auszutragen.