: Wir buchen, Sie fluchen
Für die NDR-Reportage „Abschiebung im Morgengrauen“ über den Alltag in der Hamburger Ausländerbehörde wird der Filmemacher Michael Richter mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Im taz-Interview spricht er über die Dreharbeiten
Interview: Eva Weikert
Es ist drei Uhr morgens, als sechs Mitarbeiter der Hamburger Ausländerbehörde an einer Tür klingeln. Zusammen mit Polizisten drängen sie in eine Wohnung, in der eine Familie mit fünf Kindern lebt. Den Kosovo-Flüchtlingen bleiben 30 Minuten Zeit, ihre Sachen zu packen, um nach 15 Jahren Deutschland zu verlassen. Die Szene stammt aus dem Film „Abschiebung im Morgengrauen“ von Michael Richter. Als erstem Journalisten gestattete ihm die Behörde, Abschiebungen mit der Kamera zu begleiten und den Alltag im „Abschnitt für Rückführungsangelegenheiten“ zu beobachten: Vor laufender Kamera kämpft eine Frau darum, bei ihrem todkranken Vater bleiben zu können. Ein Mann, der zur Verlängerung seiner Duldung kam, wird wie ein Straftäter gefilzt und mit der Nachricht überrascht, umgehend abgeschoben zu werden. Gestern wurde bekannt, dass Richter für den Film den Grimme-Preis erhält.
taz: Herr Richter, haben sich die Sender um Ihr Filmprojekt gerissen?
Michael Richter: Erst mal bin ich mit dem Themenvorschlag bei verschiedenen Fernsehanstalten gescheitert. Es gab große Ängste und Bedenken gegen das Thema generell. Und zwar dahingehend, dass es ein Minderheitenthema sei, das keine Quote bringe. Erst beim NDR hat ein Redakteur, Werner Grave, wirkliches Interesse gezeigt.
Inzwischen hat der Film seine Reise durch die dritten Programme angetreten, lief bei 3Sat und Phoenix. Er wird also nicht versteckt?
Nein. Jetzt, wo sich der Film als sehr erfolgreich erweist und bei Kritikern und Zuschauern sehr gut ankommt, erkennen die Redaktionen, dass die Situation von Flüchtlingen durchaus ein Thema ist, das man zeigen kann und das die Menschen bewegt.
Man kann nicht einfach in die Ausländerbehörde hereinspazieren. Welche Hürden mussten Sie nehmen, bevor Sie den Film machen konnten?
Erstaunlicher Weise gab es von Anfang an in der Ausländerbehörde eine relativ große Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Es hat aber trotzdem fast noch ein halbes Jahr gedauert, bis alle Genehmigungen vorlagen und alle Beteiligten ihr Einverständnis gegeben hatten. Ich musste in dieser Zeit viel Überzeugungsarbeit leisten und viele Gespräche führen, etwa mit dem Leiter der Abschiebeabteilung, mit dem Pressesprecher der Ausländerbehörde und dem Landeskriminalamt.
Welche Bedenken mussten Sie ausräumen?
Die Angst vor einem sehr kritischen Beitrag. Und die Angst davor, sich von einem Fremden bei der Arbeit auf die Finger schauen zu lassen. Wir sind insgesamt 15 Tage verteilt auf drei Monate immer wieder in der Behörde gewesen, um zu drehen. Da muss man sich erst mal darauf einlassen.
In einer Einstellung kann der Zuschauer auf einem Computer-Bildschirm in der Abschiebeabteilung den Spruch lesen: „Wir buchen, Sie fluchen – mit freundlicher Unterstützung des Reisebüros Never-Come-Back-Airlines.“ Offenbar haben sich die Mitabreiter nicht auf ihren Besuch eingestellt.
Oder sie haben kein Bewusstsein dafür, dass das nicht in Ordnung ist. Für mich war die Situation ein Symptom dafür, dass die Behördenmitarbeiter kein Sensorium dafür hatten, wie diese Bilder in der Öffentlichkeit ankommen würden. Dass sie nämlich als schockierend empfunden und Unglauben darüber hervorrufen würden, dass so etwas in einer deutschen Behörde passiert. Naiv denkt man ja, eine Behörde exekutiert geltendes Recht, und zwar prinzipiell fair. Aber wenn es um Ausländer mit ungesichertem Status geht ist das offensichtlich in Hamburg nicht so.
Sie hatten also nicht den Eindruck, dass die Anwesenheit der Kamera das Verhalten der Sachbearbeiter beieinflusste?
Nein. Wie schon bei früheren Drehs habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Kamera vergessen wird, wenn man vorher ein gewisses Vertrauen schafft und eine Arbeitsatmosphäre aufbaut. Wir waren aber unübersehbar – ein klassisches Team mit Ton- und Kameramann.
Was, glauben Sie, hat die Behörde veranlasst, sich so weit zu öffnen?
Mein Eindruck war der, dass sich die Mitarbeiter sehr stark gefühlt haben und meinten, sie könnten zeigen, was sie machen, weil das gut ist und es bei der Mehrheit der Bevölkerung sicher gut ankommt.
Die Mitarbeiter sind also stolz auf ihren Job?
Da muss man differenzieren zwischen der administrativen Führung und den Sachbearbeitern selbst. Ich denke, dass der Leiter des Einwohnerzentralamtes, zu dem die Ausländerbehörde gehört, voll hinter der Abschiebepraxis steht. Ebenso der Leiter der Abschiebeabteilung selbst. Die einzelnen Sachbearbeiter finden auch in Ordnung, was sie tun – aber in unterschiedlichen Graden. Einige gehen sehr nassforsch mit der Situation um und sagen sich, die Leute schmeißen wir raus, weil das unser Job ist und das ist richtig so. Punkt. Es gibt aber auch andere, die ihr Handeln zwar für richtig halten, aber gleichzeitig für hart.
Haben Sie Mitgefühl beobachtet?
Erschüttert hat mich, dass die meisten Sachbearbeiter und die Leitung überhaupt kein Gefühl dafür zu haben scheinen, dass sie etwas Schreckliches tun und was sie im Leben der Betroffenen auslösen. Da wird sich viel schöngeredet. Dass die Menschen in ihren Herkunftsländern ein neues Leben anfangen könnten und in ein paar Stunden zu Hause seien. Im Grunde ist es die klassische Beamtenmentalität – eine gestellte Aufgabe unhinterfragt zu erledigen. Als mein Film in Köln präsentiert wurde, habe ich auf Nachfrage des Publikums gesagt, ich hätte kein Mitgefühl beobachtet. Dem haben zwei Zuschauer aber vehement widersprochen. Sie hätten den Eindruck, dass die Behördenmitarbeiter verdrängen würden, welche schrecklichen Folgen ihr Handeln hat und dass sie ihr Wissen darüber unter einer großen Härte verstecken würden.
Sie haben zwei nächtliche Abschiebungen von Flüchtlingsfamilien gefilmt. Wie haben Sie sich dabei gefühlt?
Ich war schon in der Recherchephase bei einer nächtliche Abschiebung dabei. Ein Roma-Ehepaar mit fünf Töchtern wurde abgeholt. Sie wurden völlig unvorbereitet getroffen. Im Prinzip wissen geduldete Flüchtlinge ja, dass die Abschiebung jederzeit passieren kann. Andererseits leben sie seit Jahren unter der Drohung der Abschiebung und müssen das verdrängen, um psychisch überleben zu können. Insofern trifft es sie dann wie ein Schock. Für mich als Filmemacher war das eine sehr schwierige Situation. Ich kam mit den Beamten und war für die Abgeschobenen auf deren Seite. Das habe ich als extrem belastend empfunden.
Hat man das Bedürfnis einzugreifen?
Das Bedürfnis hat man sehr stark. Aber das ist eine Abwägung. Soll man das Projekt gefährden? Die Abschiebung einer Familie aus Albanien war unser erster Drehtag. Die positive Erfahrung war, dass der Familienvater uns als Zeuge begriffen hat. Er hat immer wieder gesagt: „Schauen Sie sich an, was mit uns gemacht wird, obwohl wir nichts getan haben.“ Eine andere Familie hat das genau andersherum verstanden. Die dachten, als sie uns sahen, sie sollten extra gedehmütigt und vorgeführt werden. Das war furchtbar.
Die Behörde argumentiert, käme sie tagsüber oder mit Anmeldung, würden die Menschen vorher untertauchen. Überfallartige nächtliche Abschiebungen seien notwenig.
Ich finde diese Praxis unmenschlich. Sie traumatisiert Menschen, die oft schon psychisch schwer belastet sind. Man muss sich anschauen, wer da nachts abgeschoben wird. Das sind Leute, die nicht umsonst nach Deutschland gekommen sind. Viele sind schwer traumatisiert durch die Situation in ihren Herkunftsländern. Durch die jahrelange Duldungssituation sind sie dann völlig ausgelaugt und erschöpft.
Welche Reaktionen auf den Film haben Sie erreicht?
Der Film arbeitet ja mit sehr wenig Kommentar. Wir montierten Situationen aneinander, die wir im Laufe von drei Monaten erlebt hatten. Dadurch bleibt dem Zuschauer viel Reflexionsfläche. Eine Hauptreaktion auf den Film war: „Oh Gott! Wir haben überhaupt nicht gewusst, dass es so etwas in Deutschland überhaupt gibt.“ Oft wurde die Beamtenmentalität kritisiert. Es gab auch Vergleiche zum Dritten Reich. Ich habe eine Mail aus Wien von einem älteren Juden bekommen, der schrieb, so ähnlich habe er die Deutschen in den 30er Jahren erlebt.
Und die Behörde selbst?
Ihr Leiter hat mir einem Brief geschrieben, indem er meinen Film stark angreift.
Haben Sie den Eindruck, dass der Film etwas bewirkt hat?
Der Film wird relativ häufig gezeigt und hat damit schon seine Funktion erfüllt. Hundertausende Zuschauer haben Einblick bekommen und die Möglichkeit, sich dazu zu verhalten. Am wichtigsten ist mir, dass ganz normale Leute merken, was gespielt wird und sich darüber aufregen. Was aber die politische Praxis angeht, so glaube ich nicht, dass der Film irgendetwas bewirkt hat und dass der Hamburger Senat über seine Politik nachdenkt. Nach meinen Informationen wird die Abschiebepraxis mit der gleichen Härten fortgesetzt.