Nationalisten dürfen Völkermord leugnen

Das Verwaltungsgericht hebt das Verbot der Talat-Pascha-Demo auf. Begründung: Einen Genozid zu leugnen beleidige nicht unbedingt dessen Opfer. Nach einer gestrigen Kranzniederlegung darf auch der Protest am Samstag stattfinden

Mit Blumensträußen, passend zur türkischen Fahne in Rot und Weiß, versammelten sich gestern rund 40 Personen auf dem Steinplatz. Sie gedachten am dortigen Gedenkstein der Opfer des Nationalsozialismus, allerdings des osmanischen Politikers Talat Pascha, der als einer der für den Völkermord an den Armeniern 1915/16 Hauptverantwortlichen gilt. Talat Pascha wurde 1921 im Berliner Exil an dieser Stelle von einem Armenier erschossen.

Dass die türkischen Nationalisten hier doch noch ihre Gedenkveranstaltung abhalten durften, verdanken sie einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Das hob am Dienstagabend das polizeiliche Verbot dieser und einer weiteren für Samstag geplanten Demonstration auf. Eine „Verunglimpfung“ der 1915 getöteten armenischen Bevölkerung der Türkei durch die Veranstalter sei nicht eindeutig feststellbar, so das Gericht. Überdies stelle sich die Frage, ob „jedes Leugnen eines jeden Völkermords rechtlich zugleich als Beleidigung und Verunglimpfung der Opfer“ zu sehen sei.

Die Organisatoren der Talat-Pascha-Demo werden sich über diese Sicht der Dinge freuen. Mit ihren Veranstaltungen protestieren sie gegen einen Bundestagsbeschluss vom Juni 2005, in dem die Bundesrepublik zum ersten Mal die an Armeniern verübten Massaker als Völkermord einstufte. Schätzungsweise eine Million Menschen kam damals ums Leben.

Anders als dieser Bundestagsbeschluss werde ihre Demonstration einen „signifikanten historischen Beitrag zur deutsch-türkischen Freundschaft“ leisten, versprechen die Veranstalter in einem Pressetext. Zugleich sprachen sie von „europäischen Hauptstädten, die brennen wie Paris“, und der Mobilisierung von 5 Millionen in Europa lebenden Türken für die Demo am Samstag.

Das passte nicht allen ursprünglichen Mitorganisatoren des Protests. Der Rückzug des ursprünglichen Anmelders Tacettin Yatkin von der Türkischen Gemeinde Berlin und die Distanzierung vieler Organisationen Berliner Türken waren schließlich der Grund, warum die Polizei die Demo verbot. Denn die verbliebenen Organisatoren benutzen das Wort „Völkermord“ ausschließlich in Kombination mit dem Wort „Lüge“: Türken würden als Täter „diffamiert“, die „Genozid-Lüge“ werde in deutschen Schulbüchern verbreitet und durch europäische Parlamente untermauert.

„Wir gedenken heute unseres Freiheitskämpfers Talat Pascha“ – so sah es gestern denn auch Ali Mercan vom Organisationskomitee der Demo. „Wir waren damals im Krieg. Es sind schlimme Sachen passiert. Das tut uns leid. Aber es war notwendig für die Unabhängigkeit der Türkei“, sagte er. „Das sind Rassisten, Faschisten, Ultranationalisten“, regt sich Giyasettin Sayan auf. Der kurdischstämmige Berliner PDS-Abgeordnete gehört zu den 40 Gegendemonstranten, die ebenfalls zum Steinplatz gekommen waren. „Keine Ehrung türkischer Völkermörder in Deutschland“ stand auf ihren Plakaten. Mit einer Gegenveranstaltung wollen sie am Samstag über die „Schwierigkeiten des Erinnerns“ an den Völkermord an den Armeniern aufklären. Ob dessen Leugner tatsächlich protestieren dürfen, hängt nun vom Oberwaltungsgericht ab: Die Polizei hat gegen die Aufhebung des Demoverbots Beschwerde eingelegt.

Sophie Diesselhorst
Alke Wierth