: Das Klavier steht im Zentrum
KLASSIK UND TECHNO Mit zwei Konzertflügeln und einem Schlagzeug will das Trio Aufgang das Clubgeschehen revolutionieren – nicht immer mit Erfolg
Manchmal vermisst man es ja schon, das gute alte House-Piano. Früher tauchte es in einem Track irgendwann auf, mit seinen gehämmerten Akkordfolgen, die gelegentlich wie ein Zugeständnis an all jene klangen, für die House und Techno eh keine Musik waren. Diese Zutat geriet in Vergessenheit, in das Klangkonzept von Filter-, Micro- oder Minimal House wollte ein nostalgisches Element nicht passen.
Und heute? Wenn dieser Tage, wie am Mittwoch im Berghain, das Projekt Aufgang mit seinen zwei Klavieren und Schlagzeug den Club zum Johlen bringt, muss man zugestehen: Es hat sich einiges geändert.
Schon seit ein paar Jahren kommt es in der elektronischen Musik verstärkt zur Annäherung an die Klassikszene, sei es die „Recomposed“-Reihe der Deutschen Grammophon mit elektronischen Bearbeitungen ihres Schallplattenkatalogs oder die Vielzahl an Projekten, in denen Elektronikproduzenten mit klassisch ausgebildeten Musikern auf Tuchfühlung gehen. Man kann aber auch den umgekehrten Weg gehen wie der Pianist Francesco Tristano Schlimé, der vor einigen Jahren ein Album mit Klavierbearbeitungen von Techno-Klassikern veröffentlichte.
Schlimé, 28-jähriger Bach-Experte und Absolvent der New Yorker Juillard School, lernte während seines Studiums den Pianisten Rami Khalifé kennen, mit dem er seine Vorliebe für House und Techno teilte. Der Wunsch, Konservatorium und Club zu vereinen, führte sie schließlich zur Gründung ihres Trios Aufgang, in dem der Schlagzeuger Aymeric Westrich für die elektronischen Komponenten verantwortlich zeichnet.
Die Früchte dieser Zusammenarbeit sind mittlerweile auf ihrem im Januar erschienenen Debütalbum zu hören, im Berghain konnte man sie jetzt zum ersten Mal in Deutschland auf der Bühne erleben. Was an den drei Virtuosen allemal beeindruckt, ist ihre Präzision: Die Annäherung an die einstige Maschinenmusik funktioniert über eine fast unmenschliche Genauigkeit im Zusammenspiel, kleinere Versehen fallen kaum ins Gewicht. Ohne Notenlesen geht das freilich nicht, doch das Publikum stört sich daran ebenso wenig wie an dem Anblick zweier Konzertflügel im Club außerhalb des Yellow-Lounge-Kontexts.
Aufgang sind ein unglaublich ambitioniertes Projekt. Sie wollen nicht nur zwei musikalische Welten zusammenbringen, sie wollen die Genrekombination auch gleich auf eine neue Verschmelzungsebene heben, wollen die große Klassik-Revolution im Club. Im Zentrum ihres Klangs steht nicht die Elektronik, sondern das Klavier. Elektronische Effekte funktionieren bei ihnen als flankierende Maßnahme, drängen sich aber selten in den Vordergrund. Es sind der repetitive Aufbau ihrer Stücke und die oft minimalistischen wie rhythmisch komplexen Akkordfolgen, die ihre Musik mehr nach Tracks als nach Kompositionen klingen lassen. In ihren besten Momenten, wie dem Stück „Sonar“ mit seinen dichten, gelegentlich atonalen Akkordschichtungen, nimmt man ihnen das Experiment der Tastenfusion locker ab. Dummerweise bekommt man für jeden gelungenen Moment so schmerzend kitschige Klavierläufe um die Ohren gehauen, dass die Freude über das zuvor Gehörte rasch vergessen ist.
Vielleicht wollen Aufgang mit ihrer Musik einfach zu viel. Sie möchten anspruchsvoll sein, ihr technisches Können demonstrieren und die Leute zum Tanzen bringen. Prinzipiell keine unlösbare Aufgabe, doch ihre Wahl der Mittel ist nicht immer glücklich. Wenn die drei Instrumente eine Rhythmuseinheit bilden, kommen sie ihrem Ziel recht nahe. Doch allzu oft meint man, jemanden bei seinen Etüden zu belauschen, während statt des Metronoms ein Schlagzeug den Takt angibt. Im schlimmsten Fall klingt ihre Tastenschinderei dann wie Kreuzfahrttechno. TIM CASPAR BOEHME
■ Aufgang: „Aufgang“ (Infiné)