: Allgemeingut Wasser
Mehrere Staaten Lateinamerikas fordern, Wasser aus sämtlichen Freihandelsverträgen herauszunehmen
AUS MEXIKO-STADT GERHARD DILGER
Patrick McCully stellt lakonisch fest: „Tag für Tag sterben 6.000 Kinder – infolge schmutzigen Wassers und mangelhafter sanitärer Einrichtungen. Das sind 2,2 Millionen im Jahr.“ Im Umfeld des 4. Weltwasserforums in Mexiko-Stadt will der Wasser- und Staudammexperte der US-amerikanischen NGO International Rivers Network für Lösungen werben, die diesen Skandal beseitigen. Der Kalifornier will sich aber auch mit Gleichgesinnten austauschen und mit ihnen Strategien entwickeln, um den „Wasserreichtum zu verteilen“. Heute, zum Auftakt des Forums, beteiligt er sich an einer bunten Demonstration im Zentrum der Megametropole.
„97 Prozent allen Wassers auf der Welt sind Salzwasser“, sagt Heidi Storsberg. „Gletscher und Eis machen 2 Prozent aus, bleibt 1 Prozent an nutzbarem Süßwasser.“ Seit zwei Jahren kümmert sich die ehemalige Abgeordnete und Parteifreundin des mexikanischen Präsidenten Vicente Fox um die Öffentlichkeitsarbeit des Weltwasserforums. „Wir müssen lernen, mit diesem einen Prozent besser umzugehen“, sagt sie. Hierzu werden auf einem modernen Messegelände 450 konkrete Beispiele aus aller Welt präsentiert, die zur Nachahmung anregen sollen.
Doch was ist eigentlich das Weltwasserforum? In Storsbergs Hochglanzbroschüren über die Organisatoren der Veranstaltung heißt es dazu: „Der Weltwasserrat ist eine nicht auf Profit ausgerichtete Nichtregierungsorganisation, die nur an der besseren Nutzung der Wasserresourcen interessiert ist.“
Der kanadische Wasseraktivist Tony Clarke sieht das etwas anders. „Dieser Rat ist ein Deckmantel der Wasserlobby“, erklärt Clarke. „Sein Hauptziel ist es, möglichst viele Leute aus aller Welt davon zu überzeugen, dass der Privatsektor das Wasser am besten managen kann.“
Das Forum wende sich an die Zivilgesellschaft und die Politiker gleichermaßen. „Oft werden Kommunalpolitiker unter Umgehung der Zentralregierung direkt bearbeitet“, hat Clarke auf den Vorgängerveranstaltungen in Den Haag (2000) und Kioto (2003) beobachtet. „Der Ablauf, die Auswahl der Sprecher, all das ist wohl überlegt.“ 122 Minister aus aller Welt haben sich angesagt, zudem findet erstmals ein Parlamentarierforum statt.
Auch die Kritiker werden sich auf dem Forum zu Wort melden – vorzugsweise jedoch außerhalb. Seit Den Haag steht ihre Forderung im Raum, die UNO solle Wasser verbindlich als Menschenrecht deklarieren. „Dabei sind wir beträchtlich weitergekommen. Sogar manche Konzerne haben das in ihren Diskurs aufgenommen“, sagt Clarke. „Doch der entscheidende Punkt für uns ist: Wasser ist ein Allgemeingut, und der öffentliche Sektor muss die Kontrolle behalten – oder sie zurückerlangen.“
In Argentinien, Uruguay und Bolivien ist man dabei auf dem besten Weg. Der Erfolg linker Politiker in Lateinamerika schlägt sich auch in der Wasserdebatte nieder. Im November 2004 hatten die Uruguayer per Volksabstimmung beschlossen, die Definition von Wasser als öffentlichem Gut und Menschenrecht in ihre Verfassung aufzunehmen. Erste Konsequenz: Spanische und französische Wasserfirmen müssen ihre Konzessionen zurückgeben.
„Auf dem Forum werden unsere Delegierten aus Regierung und Parlament diese Option erläutern“, weiß Carlos Santos von der Umwelt-NGO Redes aus Montevideo. „Dabei haben sie die Delegationen aus Argentinien, Brasilien, Bolivien und Venezuela auf ihrer Seite.“ In seinem Entwurf für die Abschlusserklärung der Minister fordert Bolivien, das Wasser aus sämtlichen Freihandelsverträgen und den Verhandlungen im Rahmen der WTO herauszunehmen.
Außerdem sollen Geldgeber aus den Industrieländern künftig Privatisierungen in der Wasserver- und der Abwasserentsorgung nicht mehr zur Voraussetzung für die Kreditvergabe an Entwicklungsländer machen. Der frisch gebackene Wasserminister Abel Mamani, der jetzt den bolivianischen Vorstoß einbringt, kennt das Problem aus erster Hand: Noch vor Jahresfrist führte er in der Großstadt El Alto die Massenproteste gegen den französischen Multi Suez an, der die Entwicklungsagenturen des Nordens auf seiner Seite wusste. Nun verhandelt er mit den Franzosen über Modalitäten ihres Rückzugs.
Public Public Partnerships
Den Public Private Partnerships, die die Weltbank, Wasserfirmen und neoliberal ausgerichtete Regierungen wie die mexikanische dennoch weiterhin als Patentrezept propagieren, setzen Aktivisten wie Clarke und Santos so genannte Public Public Partnerships entgegen – Arbeitsbeziehungen zwischen städtischen Wasserwerken in Nord und Süd. „Die Europäer können dabei von partizipatorischen Modellen aus Südamerika lernen“, sagt Satoko Kishomoto vom alternativen Transnational Institute aus Amsterdam und verweist auf positive Beispiele aus Brasilien oder Venezuela.
Während Tony Clarke auf beiden Hochzeiten tanzt, konzentrieren sich die Aktivisten McCully, Santos und Kishimoto ebenso wie Annette von Schönfeld von „Brot für die Welt“ auf die zahlreichen Parallelveranstaltungen der Basisgruppen. Im Kreuzfeuer der Kritik steht dabei erneut die Weltbank – wegen ihrer Staudammpolitik und ihrer Konzepte für die kleinbäuerliche Landwirtschaft.
In den 90er-Jahren war die Weltbank erstmals von der massiven Finanzierung von Großstaudämmen abgerückt, sagt McCully. Doch neuerdings sei wieder ein „Rollback“ zu beobachten. Je höher die Wasserspeicherkapazität pro Kopf und die intensive Nutzung von Wasserpotenzialen liege, desto besser sei das auch für die Armen, wird etwa in einem Weltbank-Strategiepapier aus dem Jahr 2004 behauptet. Folglich gehöre die Zukunft wieder Großstaudämmen – wie im mexikanischen La Parota (s. u.).