: Abhotten, bis der Ast bricht
DISKURSPUNK Beim Auftritt der Goldenen Zitronen im About Blank hüpft alles, was links ist, in und unter den Bäumen
Wir trafen uns in einem Garten: Das verwildert-idyllische Außengelände des About-Blank-Club am Ostkreuz wird im Sommer zum schönsten Tanzdschungel der Stadt. Wenn dann noch Die Goldenen Zitronen auftreten, bedeutet dies: Massenandrang des feierwütigen linken Volkes. Erst sammeln sie sich haufenweise vor dem Eingang, später tanzen und hüpfen weit mehr als 500 Leute zwischen den Bäumen.
Am Samstagabend lud das Team der Friedrichshainer Tanz-Location zur Benefiz-Party für die Kampagne „Fight Racism Now!“. Neben einer Clubnacht, dessen Line-Up weitestgehend der legendäre Golden Pudel Club aus St. Pauli stellte, gab es auch ein Konzert der seit fast dreißig Jahren existierenden Hamburger Band, aus deren Dunstkreis der Pudel hervorgegangen ist. Ende September veröffentlichen die Freejazz-Wave-Elektro-Postpunker, die sonst allerlei Solo-und Seitenprojekte pflegen, mit „Who’s bad?“ ihr mittlerweile elftes gemeinsames Zitronen-Album.
Als die Zitronen kurz vor neun mit „80 Millionen Hooligans“ eröffnen, wird es langsam dämmerig. Der flauschige, kleine Laubwald auf dem Gelände wird von roten, blauen und grünen Strahlern beleuchtet. Die Bühne ist in einem Holzverschlag platziert, eine mehr als gymnastikballgroße Discokugel thront über dem Garten. An der Wand hängt eine Buchstabenkette und verkündet das Motto des Abends: „Nie wieder Deutschland“.
Jeder versucht, ein erhöhtes Plätzchen zu ergattern, um das Bühnengeschehen überblicken zu können – was nicht so einfach ist. „Ich sehe Ted Gaier!“, freut sich eine Kollegin über den Anblick des Gitarristen. Ich hingegen sehe nur zwischenzeitlich die Köpfe Gaiers, des Sängers Schorsch Kamerun und des Keyboarders und Soundfricklers Mense Reents aufblitzen.
Im ICE Bertolt Brecht
Vor Zitronen-Auftritten fragt man sich stets: Dekonstruieren sie ihre eigenen Songs bis zur Unkenntlichkeit oder haben sie ein bisschen Erbarmen mit dem Publikum? An diesem Abend spielen sie ein vergleichsweise hör- und tanzbares Set. Gepiercte Junglinke und Intellekto-Punks hotten gemeinschaftlich „Auf dem Platz der leeren Versprechungen“ – so ein Songtitel, ab.
Reents mischt groovige Beats, die Orgel grätscht dazwischen, Schlagzeug und Schellenkranz scheppern. Bei „Neue Positionen“ und „Wenn ich ein Turnschuh wär‘“ hüpft die Masse freudig: „Für eine Fahrt ans Mittelmeer, Mittelmeer, Mittelmeer/ geb ich meine letzten Mittel her, Mittel her, Mittel her“.
Kurz darauf lassen die Zitronen den „ICE Bertolt Brecht“ über Dallas nach Bad Mogadischu rauschen. Dann spielen sie „aus leider immer noch aktuellem Anlass“ den Song „Das bisschen Totschlag“, den sie Anfang der 90er nach den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen schrieben. Eigentlich möchte man die ganze Zeit zitieren, weil mal wieder auffällt, wie groß und immer noch 100 Prozent auf der Höhe der Zeit die Zitronen sind. „Hier fliegen nicht gleich die Löcher aus dem Käse / sagt mein Mann.“
Zwischendurch unterbrechen die da oben Songs und diskutieren, wie es weitergehen soll. Es gibt Soundprobleme, die locker ins Programm integriert werden. „Sollen wir weiterarbeiten?“, fragt Gaier, als die Technik wieder funktioniert. Kamerun bietet zwischenzeitlich ein „Ballspiel zum besseren Kennenlernen“ an – man solle sich doch einen Plastikball im Publikum zuwerfen. „Das war zu ironisch“, kommentiert Gaier. Man habe die ironische Brechung in der Zuhörerschaft wohlwollend zu Kenntnis genommen, erwidert Kamerun.
Gegen Ende des Konzerts ergattere ich einen Platz in einem Baum und von dort aus einen besseren Blick auf die Koteletten des Ted Gaier und die Geheimratsecken des Mense Reents. Der Song „0:30, gleiches Ambiente“ folgt als Zugabe, dabei stelle ich fest, dass es schwer ist, in der Baumkrone abzutanzen. Der Song bleibt ein Smash-Hit mit einem großartigen Nullaussagen-Dialog als Text. Ich wippe, soweit die Äste es zulassen. Hosen? Ärzte? Zitronen! JENS UTHOFF