: Alles war frei erfunden
RÜCKBLICK FDP-Politikerin Dagmar Döring stolpert über pädophile Aktivitäten
DAGMAR DÖRING
VON ARNO FRANK
BERLIN taz | Stilistisch unterscheidet sich der Text von 1980 nicht von vergleichbaren „Erfahrungsberichten“, wie sie zu jener Zeit beispielsweise im Pflasterstrand gedruckt wurden. Im Sammelband „Pädophilie heute“ schrieb die damals 20-jährige Dagmar Döring, heute FDP-Politikerin in Hessen: „Nachdem ich nun eine längere, auch sexuell intensivere Beziehung zu einem Mädchen habe, erlebe ich, daß kein Mann und keine Frau, sondern nur ein Kind, insbesondere ein Mädchen, meine Wünsche und Bedürfnisse […] befriedigen kann. Jetzt erfahre ich so viel Liebe, Zärtlichkeit, Ausgelassenheit, Wildheit (?). Sie setzte sich schließlich selbst auf meinen Schoß, sprach ganz lieb und brachte auch ihre sexuellen Wünsche zum Ausdruck. Ich war wie betäubt von ihr, so verliebt in ihre Art, ihr Aussehen, ihre Gefühlswelt.“
Entdeckt hatte den Text der Göttinger Soziologe Franz Walter, der derzeit im Auftrag der Grünen „Umfang, Kontext und Auswirkung pädophiler Forderungen“ im eigenen Milieu erforscht. Vergangene Woche befragte Walter die Autorin telefonisch „als Zeitzeugin“. Dagmar Döring (53) verzichtete daraufhin auf ihre Kandidatur im Bundestagswahlkreis Wiesbaden und wurde von ihrem Listenplatz gestrichen. Auf ihrer Homepage erklärte Döring, die für eine Stellungnahme nicht zu erreichen war: „Meine Sichtweisen und politischen Aktivitäten in entsprechenden Organisationen sind aus heutiger Sicht völlig inakzeptabel und ein großer Fehler gewesen. Ich distanziere mich in aller Deutlichkeit von allen Schriften und politischen Aktionen aus diesem frühen Kapitel meines Lebens und weise darauf hin, dass ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen.“
Der Erfahrungsbericht sei frei erfunden gewesen, sie habe niemals sexuellen Kontakt zu Kindern gehabt. „Die damalige Entwicklung, die zu diesen Irrungen und Wirrungen führte, ist mir heute, mehr als 30 Jahre später, gar nicht mehr im Einzelnen nachvollziehbar.“ Zwar habe sie „die Ereignisse jener Zeitspanne“ verdrängt. Gegenüber der FAZ erinnerte sich die verheiratete Mutter von drei Kindern und Vorsitzende der Liberalen Frauen Hessens dann doch, als 19-jährige Abiturientin ihrem pädophilen Gymnasiallehrer nach Berlin in das entsprechende „Milieu“ gefolgt zu sein, wo sie ihn habe beeindrucken wollen. Nun will die Unternehmerin vor allem „Schaden abwenden“, von ihrer Familie und der FDP.
„Parteipolitisch“, schreibt sie deshalb, „war ich damals nicht aktiv.“ Das ist, um das Mindeste zu sagen, bestenfalls die halbe Wahrheit. Döring war Mitglied der Deutschen Jungdemokraten (DJD), die jahrzehntelang als Jugendverband der FDP galten. Der Verband, zu dem übrigens auch Grünen-Chefin Claudia Roth gehörte, hatten sich ab 1968 deutlich nach links bewegt, aber erst 1982 die FDP als „parlamentarischen Ansprechpartner“ aus der Satzung gestrichen – als die Partei die sozialliberale Koalition kündigte und ins Lager von Helmut Kohl (CDU) wechselte. Als alternative Nachwuchschmiede wurden die liberalen DJD bald durch die stramm nationalpathetischen Jungliberalen eines Guido Westerwelle ersetzt. Als Jungdemokratin gehörte Döring – neben einschlägig vorbestraften Sexualtätern – auch der Führung der Deutschen Studien- und Arbeitsgemeinschaft Pädophilie (DSAP) an, der 1980 ebenfalls eine Streichung des Paragrafen 174 forderte, der Sex mit Minderjährigen unter Strafe stellt.
Dass die FDP von heute solche Aktivitäten nicht als „parteipolitisch“ verstanden wissen will, liegt auf der Hand. Im Wahlkampf um den hessischen Landtag wie auch im Bund bemüht sich die Partei nach Kräften, auf die pädophile Vergangenheit der Grünen hinzuweisen. Der Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn und der Wiesbadener Kreisvorsitzende Florian Rentsch nahmen daher Dörings Rücktritt in einer gemeinsamen Erklärung „mit Respekt“ zur Kenntnis: „Wir erwarten auch von anderen, dass sie Verantwortung übernehmen, auch wenn Geschehnisse lange zurückliegen mögen.“