: Auf der Suche nach dem Berlinischen
Wann ist Kunst eigentlich Berliner Kunst, wann eine Künstlerin eine Berliner Künstlerin? Die Berlinische Galerie geht pragmatisch mit ihrem Anspruch um. Das zeigt die neue Ausstellung „Flic Flac“: Ein Purzelbaum durch die Kunstgeschichte mit Werken aus diesem und dem vergangenen Jahrhundert
VON NINA APIN
Vom Jüdischen Museum bis in die Alte Jakobstraße säumen Schilder mit kurzen Botschaften den Weg: „Trau deinen Augen“, fordern sie, und „You can imagine the opposite“. Insgesamt 32 Blechtafeln sind es, die in das verschlafene Wohngebiet hineinführen. Als Schlusspunkt des Skulpturenwegs der Künstlerin Silvia Breitwieser steht die Berlinische Galerie: „Ein Ort der Kunst, ein Haus des Dialogs“, steht auf dem letzten Schild.
Dezent fügt sich das bauhausähnliche weiße Flachdachgebäude in die Klinkerfassaden-Kulisse der Umgebung ein. Das 2004 eingeweihte neue Domizil der Berlinischen Galerie will kein Kunsttempel sein, es sucht den Dialog mit der Stadt und mit anderen Institutionen. „Besucher des Jüdischen Museums erhalten ermäßigten Eintritt“, steht an der Glastür zum Eingang.
Ursprünglich im Gropius-Bau untergebracht, zog die Sammlung jahrelang auf der Suche nach einer Heimat umher, die sie schließlich in dem umgebauten Glaslager fand. Die Lage des neuen Hauses zwischen Kreuzberg und Mitte passt zu der Sonderstellung, welche die Berlinische Galerie in der städtischen Museumslandschaft einnimmt. Ihre große Sammlung reicht von der Berliner Secession über Dada und Nachkriegsabstraktion bis zu jungen Gegenwartskünstlern. Eine eigenständige Foto- und Architektursammlung ergänzt die Fülle. Anders als die Flick Collection, die auf bekannte Namen setzt, schließt die Berlinische Galerie auch unbekannte oder nur lokal bedeutsame Künstler ein.
„Wir sammeln in Berlin entstandene Kunst der letzten hundert Jahre“, sagt Ursula Prinz, die stellvertretende Museumschefin. „Aber wir sind kein Stadtmuseum: Unser Bezug zur Stadt entsteht daraus, dass die Künstler hier lebten oder leben.“ Die Kollektion umfasst Berliner Sonderwege wie den Dadaismus einer Hannah Höch genauso wie Werke russischer Konstruktivisten, die nur kurze Zeit hier lebten.
Anderthalb Jahre nach Bezug des neuen Hauses haben Ursula Prinz und ihre Mitarbeiter die Sammlung neu geordnet und die Archive durchforstet. Die neue Ausstellung „Flic Flac“ ist ein Purzelbaum durch die Kunstgeschichte vom vergangenen bis ins beginnende Jahrhundert. „Wir missachten die Chronologie ebenso wie unsere eigene Aufteilung in verschiedene Bereiche“, sagt Ursula Prinz fröhlich und führt durch den Parcours.
Der beginnt mit einem ganz bildlichem Berlin-Bezug. Katharina Meldners zwischen 1980 und 1983 entstandene Berliner Landkarte ist eine emotionale Kartografie der Stadt: Unbekannte Gebiete schimmern schwarz, weiße Flecken zeigen intensive Erinnerung an.
„Kunst und Leben“ hat Ursula Prinz die Werke kategorisiert, in denen sich Stadt und Kunst verbinden und die den vorderen Teil des Untergeschosses ausfüllen. Im Rest der Ausstellung ist die Auseinandersetzung mit der Stadt nicht direkt Thema der Bilder. Die 136 Quader mit würfelförmigen Mustern, die vollständig die rechte Raumlänge füllen, werden unter der Rubrik „Monumentalität“ präsentiert. Der Künstler Horst Bartnik ist Berliner.
Die Ausstellung folgt den großen Themen des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts: Realismen, Fragmentierungen, Entgrenzungen. „Solche Kategorien sind nur begrenzt hilfreich“, gibt Prinz auf dem Weg ins Obergeschoss zu. „Aber willkürlich ist die Zusammenstellung keineswegs.“ Sie bleibt vor einer Ecke stehen, in der sich ein Frauenporträt von Otto Dix und eine Porträtserie der jungen Fotografin Birgit Kleber gegenüberstehen. Die Gesichter verdrießlicher Zeitgenossen blicken direkt in die Augen der verhärmten Dame aus den 20er-Jahren gegenüber. Beide Seiten werden von einem mürrischen Frauengesicht aus Bronze beobachtet. „Ein bisschen von meinem Humor habe ich in die Hängung eingebracht“, sagt Ursula Prinz. „Flic Flac“ bedeutet auch, zusammenzuhängen, was nicht zusammengehört.
Die elf Meter hohe Halle mit ihren variablen Stellwänden und der freiliegenden Doppeltreppe in der Mitte eignet sich hervorragend für solche Augenspiele. Überraschende Sichtachsen, ungewohnte Begegnungen zwischen Fotografie und Tuschezeichnung, Dada und Abstraktion, Jung und Alt, durchziehen das ganze Obergeschoss. Einträchtig nebeneinander hängen Selbstporträts der Maler Marwan und Bernd Koberling, in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Werk des abstrakten Expressionisten Fred Thieler. Auch dies ist ein hintersinniger Kommentar der stellvertretenden Museumschefin: Nach Thieler ist ein Preis für Malerei benannt, den die Berlinische Galerie seit 1991 verleiht. 2002 bekam der syrischstämmige Marwan den Preis verliehen, dieses Jahr erhält ihn Bernd Koberling.
Koberling, mit runder Brille und kurzgeschorenen Haaren, bereitet gerade im Untergeschoss seine Einzelausstellung vor. Zwei junge Männer in weißen Handschuhen schieben Bilder hin und her. In der Mitte des Raumes steht der Maler und kommandiert. „Das rote jetzt dahin. Nein, wieder weg. Mittig, hab ich gesagt!“ Die Präsentation der großen abstrakten Bilder gestaltet sich schwierig. Koberling flucht. Besonders die Stellwand vor dem Durchgang zur Ausstellungshalle macht Probleme: Sie ist zu dominant. Koberlings zarten Farbverläufen täte eine transparentere Raumstruktur gut.
Ursula Prinz zuckt die Achseln und wendet sich zum Gehen. Schließlich hat sich Koberling die Stellwand extra einbauen lassen und damit den offenen Blick zur Ausstellungshalle versperrt. „Manche können mit vielfältigen Sichtachsen eben nicht gut umgehen“, bemerkt sie spitz. Auf einem Rollwagen stehen jetzt dreißig Aquarelle, die auch noch untergebracht werden müssen. Sie kommen in den Saal im Obergeschoss, entscheidet das Ausstellungsteam gemeinsam. Die zwei Mitarbeiter ziehen schon die Köpfe ein, aber nachdem das Triptychon an der Rückwand perfekt sitzt, ist der Künstler sehr entspannt. „Jetzt rauchen wir erst mal eine“, sagt er und durchquert schnellen Schritts die Halle. Dort bemühen sich seine Berliner Kollegen unter der Rubrik „Entgrenzungen“, dem „Haus des Dialogs“ gerecht zu werden.
„Flic Flac“, täglich 10 bis 18 Uhr, Alte Jakobstraße 124–128