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Archiv-Artikel

Landsleute wie Necla K.

Erstlesung mit der Autorin von „Die verlorenen Söhne“

Von JAF

Kiepenheuer & Witsch hatte ins Berliner Maxim-Gorki-Theater eingeladen – Necla Kelek, Autorin des Kölner Verlagshauses, sollte ihr neues Buch „Die verlorenen Söhne“ vorstellen. Die türkischstämmige Sozialwissenschaftlerin hatte ein Heimspiel: Der Kern jenes Multikulti-Establishments, das sie neulich in einer Zeit-Annonce quasi für aussätzig erklärte, fehlte – auch wenn in deren Sinne Einzelne im Auditorium später fragten, ob sie nicht aufbausche, skandalisiere, nur von Einzelfällen berichten könne und sowieso dem (sogenannten) Rassismus die Argumente zuspiele.

Ehe sie aber selbst zu erzählen begann, wurde sie vom Zeit- und Ex-taz-Redakteur Jörg Lau gepriesen als eine Frau, auf die „unsere Gesellschaft stolz“ sein könne, weil sie „mutig“ sei und lauter in ihren Absichten. Necla Kelek, deren Vornamen Lau einverständig in der familiären Form aussprach – als Ne’la, nicht als Nä’schla –, griff gern in den Geschichtenfundus ihres Buches. Von den Männern, aus der Türkei einst eingewandert, um wieder gehen zu wollen und sollen, aber doch sesshaft geworden; von Menschen, die fast gezwungen sind, sich den Anforderungen der Moderne – Geschlechterdemokratie et al. – zu widersetzen, es gehe ja immer ums Überleben: Berichte von Stress, Familienhorror, Desinteresse der altdeutschen Umwelt, von Delinquenz und Verhängnis. Kelek berichtete mit – Empathie: „Es soll alles besser werden.“

Einen Spot aufs wahre Desaster des Diskurses um Einwanderertragödien offenbarte freilich eine gewiss gutmeinende Frau, die Kelek fragte, wie „denn Ihre Landsleute über diese Probleme“ dächten? Landsleute? Kelek ist so deutsch, wie die meisten der Migranten sind oder würden, ließe man sie nur. Was in der scheinheiligen Frage mitschwang, war jedoch das exotisierende Muster von „Hier sind wir – da seid ihr“: Kelek rollte entnervt die Augen. Sagte „danke“ und gab geduldig viele Autogramme. JAF

siehe auch kultur SEITE 16