: Ich und Liebe und Dich
KONZERT Das derzeit heißeste Brüderpaar der Musikwelt, The Avett Brothers, begeisterte im Lido mit seiner Mischung aus Folk und Rock
The Avett Brothers aus North Carolina, USA, sind das derzeit heißeste Brüderpaar in der unterhaltenden Musikwelt. Mit ihrem Musikstil aus Folk und Rock sorgten sie bislang nur in Amerika für volle Konzertsäle. Am Donnerstagabend begeisterten die Brüder auf ihrer Europa-Tour nun im Berliner Lido.
Vor ein paar Jahren noch haben wir vor einer Menge Menschen gespielt, die sich nicht für unsere Musik interessiert haben, erinnert sich Seth Avett. In diesen Tagen ist das anders. Textsicher und einige Liedstellen mit lautem Jubel kommentierend, steht den Avetts ein Publikum gegenüber, das sie sehnsüchtig erwartet hat. Und dem Motto ihres neuen Albums, „I and Love and You“, folgend, erwidern die Brüder Scott und Seth, die durch Bob Crowford am Kontrabass und Joe Kwon am Cello komplettiert werden, diese Wellen der Sympathie. „We are far away from home“, sagt Scott, „but this feels like home, too.“
In der Folge des Abends spielen sich die Avetts sowohl durch ihre alten als auch durch neuere Aufnahmen. Die musikalische Marschrichtung: herzergreifender Harmoniegesang, gepaart mit dem Spiel aus Banjo, Gitarre, Kontrabass, Cello und Keys – die Songs variieren zwischen einfühlsamen Folknummern über Country-Rock bis hin zu punkigen Bluegrass-Stücken. Kongenial und leicht wechseln sich der jungenhaft schöne Scott und sein vollbärtiger Bruder Seth durch die Instrumente, die besten Stücke sind aber eindeutig die mit Scott am Banjo.
Es konnte sich nur um eine Frage der Zeit handeln, bis jemand wie Rick Rubin, legendärer Produzent von Johnny Cash, an die Tür der Avett Brothers klopfen sollte. Denn nach fast einer Dekade famoser Alben und gefeierter Konzerte in den geheimsten Winkeln und bekanntesten Clubs Amerikas waren die Avett Brothers zur reifen Frucht geworden, die es zu ernten galt. Vor allem die Qualität des Songwritings, aber auch die aufrichtige Emotionalität und die schwermütig hoffnungsvollen Inhalte der Songs überzeugten Rubin zur Zusammenarbeit.
Die Geschichte der Avett Brothers wirkt wie ein modernes Märchen mit Happy End. An der Jahrtausendwende spielen Scott und Seth in der unbekannten Rockband „Nemo“, widmen sich aber auch akustischer, traditioneller Folk-Musik im Stile von Doc Watson oder Ramblin’ Jack Elliott. Im Jahr 2000 nehmen sie in Eigenregie ihr erstes Album unter dem Namen The Avett Bros. auf und gehen auf Tour durch Amerika – ein Monat, elf Staaten, Schlafplatz im Zelt oder Auto, miese Bezahlung.
Als sich Rick Rubin ihrer annimmt, haben die Avetts bereits einen stattlichen Katalog an Alben auf dem kleinen Label „Ramseur Records“ eingespielt. Herzstücke sind „Mignonette“ (2004), „Four Thieves Gone“ (2006) und „Emotionalism“ (2007). Es folgen Auftritte in Late Night Shows, Platzierungen in den Billboard Top 200 und ausverkaufte Shows. Das Musikmagazin Rolling Stone kürt die Avetts außerdem zur Band, die man im Auge behalten sollte. Es scheint, als hätten mehr als nur eine Handvoll Interessierter diesen Rat befolgt.
Die gute Nachricht: Die Avett Brothers sind in Europa angekommen. Die schlechte: Auch ein gutes Konzert muss einmal zu Ende gehen. Und die Amerikaner sind Profis. Nach zwei Zugaben und dem albumtitelgebenden Song „I and Love and You“ gehen die Lichter im Lido wieder an. Es liegt ein Verlangen in der Luft, seinen Nächsten brüderlich zu umarmen. Und als zu später Stunde in der Stadt die Lichter ausgegangen waren, konnte man, wenn man ganz aufmerksam hingehört hat, das ein oder andere „Ich und liebe und dich“ vernehmen. TOBIAS PREMPER