: Ein Mädchentraum ging in Erfüllung
ONE FOR ALL Eine brave Peaches zelebriert ihren „Jesus Christ Superstar“-Liederabend im Hebbel-Theater am Ufer
VON CHRISTIANE RÖSINGER
Natürlich ging es zu guter Letzt dann doch nicht ohne Penis. Unschön und blutig erhob er sich meterhoch in Kreuzform auf der Bühne, natürlich ließ sich Peaches Christ Superstar daran hochziehen und kreuzigen, aber das war dann fast nur noch als Selbstzitat zu verstehen. Eine relativ zahme, brave Peaches hatte man vorher erlebt, bei diesem Jesus-Christ-Liederabend im Hebbel-Theater am Ufer. Am Flügel begleitet von ihrem langjährigen Weggefährten Gonzales, der jetzt Chilly Gonzales heißt, hatte sie „Jesus Christ Superstar“ als One-Woman-Show inszeniert.
Fast hätte die Premiere nie stattgefunden, die deutschen Rechteinhaber des Andrew-Lloyd-Webber-Musicals hatten ihre Zustimmung verwehrt. Twitter sei Dank konnte aber die Schreckensnachricht „Peaches Christ Superstar crucified before opening night“ in die Welt geschickt werden, ein Medienecho finden und die Rechteinhaber zur Einsicht bringen.
Und so saß man am Donnerstag im HAU und freute sich für Peaches, die sich einen Mädchentraum erfüllt hatte und nun vor großem Haus sämtliche Rollen von Jesus, Pontius Pilatus und den Pharisäern über Judas bis zu Maria Magdalena und sämtlichen Jünger sang, so wie sie als Teenager schon oft das ganze Musical allein in ihrem Zimmer gesungen hatte.
Wer das Musical selbst nicht ganz auswendig konnte, wusste aber manchmal nicht so recht, worum es ging. Ist das ein Duett? Sind es drei Stimmen oder ist es ein Chor, der sich immer wieder einmischt? Steht Jesus gerade vor dem Hohen Rat, oder sitzt er beim Abendmahl oder ist das schon die Gerichtsverhandlung mit Pontius Pilatus?
Auch wenn man ihre Gesangskünste bewundern musste, die überlieferten Peaches-Rollen, großkotziger Gangleader, trotzige Angeberin, kratzbürstiges Mädchen, Bad Girl und Bitch, reichten nicht ganz für das Musical-Personal. Pontius Pilatus bekam eine tiefe Stimme, Judas eine trotzige, Maria Magdalena einen leichten, hauchigen Ton, Jesus sang eher normal, und Herodes wurde, wie auch im Original, zur Bitch. So wurde das Musical sehr auf die Songs heruntergebrochen, aber das bombastische Genre der Rockoper ist ja längst überholt, und man kann es nur noch unterbieten.
Die Sängerin bewegte sich wenig, dancte nur ein wenig hin und her, einmal lag sie auch. Bei Maria Magdalenas Geständnis „I don’t know how to love him“ gab sie sich zart, zerbrechlich, stimmgewaltig. So freute man sich an den bekannteren Songs „What’s the Buzz?“, an dem euphorischen „Hosanna“ und dem immer wieder angekündigten Ohrwurm „Jesus Christ Superstar“. Lustigerweise hörte man immer wieder bekannte Webber-Melodien wie „Don’t Cry For Me Argentina“ aus Evita oder die große Cats-Ballade „Touch Me“ heraus.
In der Pause tauschte man sich angeregt aus. Die Besucher vom ersten Rang erzählten, Peaches sehe mit ihrer extravaganten Frisur von oben ein wenig wie Sarah Connor aus, vom Parkett aus hingegen wirkte Gonzales wie ein zerknautschter Jörg Kachelmann. Dann konnte man schön die kulturelle Überlegenheit einer katholischen Erziehung ausnutzen und die letzten sieben Tage Jesu vom Einzug nach Jerusalem an nacherzählen, was bei den anwesenden Atheisten und Heiden nicht nur einen starken Eindruck machte, sondern auch zu ihrem besseren Verständnis des Singspiels beitrug.
Denn das 1973 in New York uraufgeführte Musical ist nun mal eine als Songzyklus gestaltete Passionsgeschichte. Nach der Pause erwartete man dann eine Steigerung, es gab aber zunächst nur einen Kostümwechsel. Aus dem eierschalfarbenen Ganzkörperanzug mit überdimensioniertem Schalkragen wurde eine goldene, überdimensionale Elvis-Bomberjacke mit raffinierter Rückenverschnürung. Wie man weiß, waren die Stunden im Garten Gethsemane für Jesus voller Selbstzweifel, lang und quälend. Leider setzte Peaches das eins zu eins um. Bei aller Liebe, es war doch recht zäh, und auch die anschließende langwierige Gerichtsverhandlung unter Pontius Pilatus wollte kein Ende nehmen. Zum Glück kam dann endlich mal ein szenischer Einfall, Peaches holte die Peitsche hervor, und aus allen Ecken und Enden des Saals rief es: „Crucify him!“
Man hätte aus dieser One-Woman-Show zweifellos mehr machen können, es war dann doch zu sparsam inszeniert, zu wenig dramaturgisch durchdacht. Andererseits war man froh, dass Peaches Christ auch ohne umgeschnallten Dildo und „Fatherfucker“-„Lovertits“-„Fuck the pain away“-Skandieren auskam.
Und als sie dann am Schluss so am Peniskreuz hing und ihre letzten Worte, „Lord forgive them, they don’t know what they are doing!“, sprach und Gonzales zum Finale anhob, da hatte man die beiden doch wieder sehr ins Herz geschlossen und ging mit dem Gefühl, einen sehr gelungenen Premierenabend erlebt zu haben, nach Hause.