: Arme Beziehungsritter
KITSCH Die Wirklichkeit ist ja leider oft unter aller Kanone und zieht einen gnadenlos hinab in ihren Sumpf. Muss man sich deshalb an die Mär vom Märchen halten? Anne Webers vertrackter Roman „Luft und Liebe“
Ist Liebe Kitsch? Oder muss sie es zumindest sein? Die Schriftstellerin Anne Weber, Mitte vierzig, wohnhaft in Paris, hat einen Liebesroman geschrieben, der „Luft und Liebe“ heißt und in dem diese Frage irgendwie im Mittelpunkt steht. Und irgendwie doch nicht, denn so richtig gestellt wird sie nicht; geschweige denn beantwortet.
Erzählt wird aus der Perspektive einer deutschen Schriftstellerin, Anfang vierzig, die in Paris lebt (was an sich ja schon Kitsch ist) und nach einer kurz angerissenen Liaison einen landadeligen älteren Franzosen kennen und nach einer Weile des Zögerns auch lieben lernt. Der Adelige, Stand Ritter, besitzt ein märchenhaft großes Schloss irgendwo auf dem Land und ist auch ansonsten ein feingeistiger Mensch, mit dem es wohl auch in den Laken gut läuft. Einziger Makel: Der Landadel ist allmählich heruntergekommen, was ja auch Charme hat, die Schriftstellerin jedenfalls ist verloren.
Anne Weber aber zieht von Beginn an eine Art rückwärtsgewandten doppelten Boden ein. Die erzählende Schriftstellerin nämlich hat schon einmal probiert, der banalen Liebesgeschichte durch gefälschte Namen und großer Fiktionalisierung Frau zu werden; mehr als der Titel („Armer Ritter“, auch nicht besser) und ein gefüllter Papierkorb ist dabei nicht herausgekommen. Nur gelegentlich spukt die frühere Hauptfigur Léa, das Alter Ego der Schriftstellerin, als Kommentarinstanz durch das Buch. Die Erzählerin selbst verlässt sich nach diesem gescheiterten Versuch lieber auf das wahre Geschehen, das sie schließlich hinter sich hat.
Und hierin liegt auch das Problem. Schließlich hat man nicht nur das Gefühl, einer scheiternden Märchengeschichte zuzuhören, sondern auch einer verblendeten Frau, die nicht einmal aus Schaden klug wird.
Schaden macht nicht klug
Dass das Scheitern des Märchens vielleicht schon im Märchen begründet liegt, geht ihr in keiner Zeile auf. Dass die Liebe als Märchen schon an sich eine Mär ist; dass sie nachgerade eine echte, konkrete Beziehung nur allzu oft verhindert – ein Wissen, das hier nicht vorhanden ist.
„Dies ist kein Roman über die Auswirkungen der modernen Fortpflanzungsmedizin auf das Leben heutiger Paare, es ist überhaupt kein Roman über irgendetwas, sondern einfach eine Geschichte“, behauptet die Geschichte auf Seite 131. Das ist gelogen und, was die Fortpflanzungsmedizin betrifft, die hier schon eine entscheidende Rolle spielt, sogar schade. Aber vielleicht ging es Anne Weber tatsächlich darum: Ein unterhaltsames Buch über die Liebe zu schreiben, darüber, wie sie scheitern kann; ein Buch, das mit alten Bildern spielt, mit all dem Kitsch, der in immer noch so vielen Köpfen und Herzen für den Begriff der Liebe steht.
Dieses Vorhaben ist, auch wegen der schmissigen Erzählweise und einem aufblitzenden Humor und Sinn fürs Absurd-Komische, schon gelungen. Trotzdem ist es kein gutes Buch.
„Beim nächsten Mal“, steht auf Seite 141, „das schwöre ich, erfinde ich eine Geschichte, eine schöne, vielleicht auch schreckliche, bestimmt aber eine ganz und gar unwahre Geschichte, denn die Wirklichkeit ist unter aller Kanone, sie hat das Niveau eines Groschenromans, und wer sich ihr ergibt, den zieht sie gnadenlos hinab in ihren Sumpf.“ Auch das ist eine Lüge. Die Wirklichkeit unterliegt dem Auge des Betrachters oder der Betrachterin. Wenn, wie in diesem Fall, die Betrachterin das Niveau einer Groschenromanautorin hat, ist da nichts zu machen. Dann muss sie ein Groschenromanleben führen oder von einem solchen erzählen. Aber vielleicht weiß die Schriftstellerin das sogar. Eine von beiden jedenfalls.
RENÉ HAMANN
■ Anne Weber: „Luft und Liebe“. Fischer, Frankfurt am Main 2010, 192 Seiten, 17,95 Euro