: Die dumme Versuchung der Versöhnung
JUBILARE Nächste Woche wird Kohl 80. Gratulieren? Versöhnen? Bloß nicht. Unser Autor spricht aus Erfahrung
■ Der Termin: Helmut Kohl feiert am 3. April seinen 80. Geburtstag. Am 5. Mai gibt es die offizielle Party dazu, im Pfalzbau in Kohls Wohnort Ludwigshafen. Angela Merkel, ausländische Staatsgäste und bis zu 1.000 weitere Besucher werden erwartet.
■ Der Jubilar: Kohl ist seit Jahren gebrechlich. Seit einem schweren Sturz sah man ihn oft im Rollstuhl. Derzeit erholt er sich von einer Gallenblasen-OP. Letzter Großauftritt: bei der Feier zum 20. Jahrestag des Mauerfalls im November.
VON PHILIPP GESSLER
Andere sind wenigstens Generation Umhängetasche. Ich bin Generation Kohl. Schrecklich genug. Aber das kann man sich ja nicht aussuchen. Und irgendwann war es mir und war er mir auch egal, dieser Helmut Kohl, der Bundeskanzler war und Bundeskanzler und Bundeskanzler. Er ist wie eine gusseiserne Truhe im Wohnzimmer der Großeltern, ein Möbel, das man immer hässlich findet, aber eines Tages einfach nicht mehr sieht.
So ist es gut, und ich werde auch nichts daran ändern, wenn er nächste Woche 80 wird. Viele werden gratulieren. Sogar Linke werden versöhnlich tun. Nein, diesen Fehler mache ich nicht noch mal.
Mit ihm und mir fing es 1982 an, als Kohl durch ein konstruktives Misstrauensvotum an die Macht kam. Da war er 52 Jahre alt. Ich war fünfzehn und plötzlich angefixt von der Politik: Dieser Sturz Helmut Schmidts samt dessen hervorragender Rede, bissig, bitter, böse auch – ich las sogar das Buch seines Regierungssprechers über die Abwahl. Und der Böse war da, ganz klar, Kohl. An die Macht geputscht durch den Verrat der FDP, was man natürlich auch vornehmer ausdrücken kann, aber dann beinahe eine Lüge wäre.
Dann die Neuwahlen 1983, triumphal fast und die Erkenntnis, dass die Mehrheit in der Bundesrepublik „Birne“, wie damals noch manche sagten, wirklich zum Kanzler haben will. Wie konnte das sein? Und, verdammt, ich war schon deshalb gegen Kohl, weil all die braven Popper mit den Fönscheiteln für ihn waren.
Die ersten Jahre mit Kohl: peinlich bestenfalls, oft empörend. Am schlimmsten war der Bitburg-Skandal, das Händeschütteln ausgerechnet mit Ronald Reagan vor Gräbern der Waffen-SS. Die groß angekündigte „geistig-moralische Wende“, die doch im Wesentlichen bedeuten sollte: zurück in die Fünfziger. Diese feiste Selbstzufriedenheit – bis zum versuchten Sturz Kohls im Frühjahr 1989 durch die letzten einigermaßen Liberalen in der Union. Auch das ein Fehlschlag.
So hätte alles weitergehen können – Politik als ein mieses Geschäft, in dem die Schlimmsten fast immer gewinnen. Doch dann fiel, ein Jahr vor Kohls Sechzigstem, die Mauer! Und plötzlich war klar: Alles, alles kann sich ändern, und zwar friedlich. Vielleicht werden wir ja doch alle nicht im 3. Weltkrieg verstrahlt krepieren. Vielleicht ist das Ozonloch ja zu schließen. Vielleicht überlebt der Wald ja doch. Schwer verständlich heute, aber so war es.
Und siehe da: Gerade jetzt hatte dieser Helmut Kohl, wenige Monate zuvor politisch schon fast tot, seine starken Momente. Packte den geschichtlichen Augenblick, zeigte, was Politik auch sein kann: dynamisch, rücksichtsvoll gegenüber den Gefühlen im Ausland, geschichtsbewusst sogar. Dass wenig später mit Kohl alles wieder so weiterging wie vor 1989, ließ mich kühl. Denn Politik hatte nun wieder etwas Offenes. Und Kohl würde nicht ewig bleiben. Schließlich ist alles möglich. Ich habe die Mauer und das Sowjetimperium fallen sehen.
Einmal habe ich ihn in diesen Jahren sogar getroffen, hätte ihn einfach ansprechen können. Ich war noch in der Ausbildung, wartete als einziger Journalist vor einem Tagungshotel im Grünen, wo eine CDU-Klausur stattfinden sollte. Die Tür des riesigen Mercedes ging auf, Kohl wälzte sich hinaus, zog sein Jackett an, stampfte auf mich zu, sagte sogar „Guten Tag“ – und ich bekam außer „Guten Tag“ nichts raus, keine Frage, kein Spruch, nichts. Ich war zu feige. Es lag aber auch an Kohl: Fleisch gewordene Macht, die einen verstummen ließ.
Als Kohl 1998 abgewählt wurde, war zwar viel Freude da, aber eigentlich war der Alte sowieso schon lange weg, gedanklich spielte er keine Rolle mehr. Und als er dann auch noch die Machtübergabe an Gerhard Schröder anständig und mit einem Hauch Altersmilde hinbekam, in der „Bonner Runde“ angesichts des Machtverlusts sogar beinahe humorvoll wirkte, überkam mich ein sentimentales Gefühl. In einem Moment der Schwäche schrieb ich ihm einen Brief, naiv und etwas größenwahnsinnig, aber einem spontanen Impuls folgend.
Ich weiß nicht mehr, was genau ich damals geschrieben habe. Etwa dies: Obwohl ich politisch stets gegen ihn gewesen sei, fände ich es gut, wie gelassen er die Abwahl hinnahm. Der Brief hatte was Versöhnendes, was natürlich anmaßend war, denn was sollte das Kohl jucken, wenn da irgendein junger Bürger ihm so eine seltsame Versöhnung anbietet, nach sechzehn Jahren Abneigung? Aber so war das eben: Der ewige Kohl war Teil meines Lebens gewesen. Da kommen solche Ideen hoch.
Kohls Antwort – belanglos. Und natürlich war sie nicht von ihm. Nur von einem Referenten. Nur ein paar Textbausteine. Lässt seinen Dank ausrichten und so. Schon da schämte ich mich für meinen sentimentalen Brief. Wie konntest du nur so naiv sein?!
Und dann kam die CDU-Spendenaffäre 1999, Kohls fieses Spiel mit dem „Bimbes“, dieses arrogante Schweigen, weil er sein „Ehrenwort“ gegeben habe. Jetzt wusste ich wieder, was mir sechzehn Jahre lang so zuwider war. Ich zerriss die Kopie meines Briefes und die Antwort darauf. So war er eben, der Kohl. Und so doof war ich.