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Archiv-Artikel

Wer hat das schönste Lager?

Schleswig-Holstein eröffnet demnächst sein erstes Abschiebelager. Niedersachsen ist da mit zwei Standorten schon weiter. Die taz präsentiert die politische Debatte. Und einen Lager-Vergleich

von ESTHER GEIßLINGER

Kann es human sein, Flüchtlinge in eine ehemalige Kaserne zu stecken? Ja, sagt Innenminister Ralf Stegner (SPD): „Lange Verfahren haben mit Humanität nichts zu tun. Wenn wir Menschen, die wir abschieben wollen, erst integrieren und dann ausweisen, ist das viel härter.“

Nein, sagt Martin Link, der Vorsitzende des Flüchtlingsrates in Schleswig-Holstein. Unter dem Motto „Kein Ausreisezentrum in Neumünster oder anderswo“ protestieren der Flüchtlingsrat und das „Bündnis Bleiberecht“, ein Zusammenschluss von 35 gesellschaftlichen und kirchlichen Organisationen, gegen die geplante „Gemeinschaftsunterkunft für ausreisepflichtige Ausländer“, die am 1. April in Neumünster eröffnet werden soll.

„Gemeinschaftsunterkunft“ – die Vokabel hält der Flüchtlingsrat für ein verbales Feigenblatt, das die ohnehin schon euphemistische Bezeichnung „Ausreisezentrum“ verdecken soll. Gedacht ist die Einrichtung für Menschen, denen kein Asyl gewährt wird, die aber nicht abgeschoben werden können. Gründe können sein, dass ihr Herkunftsland nicht bekannt ist, dass ihre Papiere fehlen oder dass das Heimatland sich weigert, seinen Bürger aufzunehmen, etwa, weil er einer Minderheit angehört.

Generell gilt, dass der Flüchtling verpflichtet ist, an seiner Abschiebung mitzuwirken – und in vielen Fällen streiten sich Ausländerbehörde und Betroffene darum, ob der Flüchtling genug tut, um Deutschland zu verlassen. In der Gemeinschaftsunterkunft, so vermutet der Flüchtlingsrat, werde entsprechend Druck ausgeübt, um die Verfahren zu beschleunigen. Außerdem verschlechterten sich die Chancen für Betroffene, ihr Verfahren zu gewinnen. Denn in der Unterkunft können sie kaum Geld verdienen und sich damit keinen Anwalt leisten.

„Es wird keine Schikanen geben, das machen wir nicht“, verspricht Innenminister Stegner gegenüber der taz. „Wir reden hier nicht über Abschiebehaft.“ Die Betroffenen seien auf dem Gelände nicht eingesperrt, von „Kasernierung“ sei keine Rede.

Warum dann also die gemeinsame Unterkunft? Tatsächlich gibt es einen ganz prosaischen Grund: „Ökonomischer Druck auf die Einrichtung“, sagt Stegner. Denn die ehemalige Kaserne am Haart im Zentrum der Stadt steht halb leer. Das Gebäude dient dem Land als „Erstaufnahmeeinrichtung“, in die Flüchtlinge nach ihrer Einreise kommen. Geplant war es ursprünglich für rund 500 Menschen, aber da immer weniger Asylbewerber nach Deutschland kommen, sind nur noch rund die Hälfte der Betten belegt. Die neue „Gemeinschaftsunterkunft“ bringt etwa 30 weitere Menschen in die Kaserne – wesentlich größer, schätzt Flüchtlingsratsvorsitzender Link, ist die Gruppe der Betroffenen nicht. „Was hat das für einen Sinn?“, fragt er. „Vor allem, weil dies eine zusätzliche Maßnahme zu den bestehenden Strukturen in den Kreisen ist.“

Minister Stegner verteidigt das Konzept: Die Sachkompetenz und die „exzellente Betreuung durch das DRK“ seien deutlich besser als in den Ausländerbehörden der Kreise. Unlogisch, findet der Vorsitzende des Flüchtlingsrates: „Das ist im Zeitalter des Internets kein Argument. Die Behörden können sich mühelos sachkundig machen. Deswegen müsste niemand nach Neumünster umziehen.“

Er beklagt, dass der Flüchtlingsrat und andere Organisationen von den Plänen „kalt erwischt“ wurden: „Denen im Innenministerium muss schon klar gewesen sein, dass sie einen Kurswechsel einleiten.“ Stegner gibt zu: „Wir hatten kein Interesse, dieses Thema vor der Bundestagswahl öffentlich zu machen. Wir haben eine Phase ausgesucht, in der es ruhiger ist.“

Ob die Entwicklung noch aufzuhalten ist, weiß Martin Link nicht: „Formal öffnet das Ding am 1. April. Politisch ist bis dahin noch alles drin.“ Die Opposition könnte er durchaus auf seine Seite bringen. So sagt Wolfgang Kubicki (FDP) auf taz-Anfrage: „Ich halte nichts von derartigen Einrichtungen, in denen Menschen kaserniert und letztlich ghettoisiert werden. Sie schaffen mehr Probleme als sie lösen.“ Und Anne Lütkes von den Grünen erklärt: „Ich habe das Ausreisezentrum besichtigt und bin nach wie vor dagegen. Es gibt keinen sachlichen Grund und keine Verpflichtung, es einzurichten. Es ist unmenschlich und überflüssig.“

Der Innenminister will dennoch an seinen Plänen festhalten: „Ich stehe dazu, ich stelle mich der Kritik.“

Demo gegen die geplante Gemeinschaftsunterkunft: Sonnabend, 12 Uhr, Großflecken in Neumünster