: In viele Häute schlüpfen
Pierre Coulibeuf macht Filme über Künstler. Seine Porträts von Meg Stuart, Jan Fabre oder Marina Abramovic sehen oft wie eine Arbeit der Porträtierten selbst aus. Das Arsenal zeigt eine Werkschau
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Christoph Marthaler, der Schweizer Regisseur, hat Meg Stuart, die amerikanische Choreografin, in seiner Zeit als Intendant nach Zürich eingeladen. Jetzt versucht er, ihr ein Wort beizubringen: „Direktionssitzung“. Ihre Zunge schlingert um die Ballung spitzer Laute und beide amüsieren sich so, als wäre Scheitern die einzig angemessene Haltung gegenüber Direktionssitzungen. Das ist in Pierre Coulibeufs Film „Somewhere in between“ über Meg Stuart schon fast das einzige artikulierte Wort, das man von ihr hört.
Ein Künstlerporträt braucht in den meisten Fällen sehr viel mehr Text, um Informationen über den Künstler, sein Werk, Kommentar und Interpretation zu verarbeiten. Der französische Regisseur Pierre Coulibeuf dagegen schlüpft in die Haut anderer Künstler und erzählt in ihrer eigenen Sprache – mit ihnen. Seine Filme sind enthusiastische Kollaborationen, die man genauso liebt oder hasst, wie man jeweils den oder die Porträtierte mag.
„Somewhere in between“ entstand 2004 in Paris, Zürich und Brüssel. Im Film kann man die Städte nicht unterscheiden, wohl aber wird von Situationen der Ankunft und Fremdheit erzählt. Und das gehört als biografisches Moment sehr wohl zu der Choreografin, der zwischen „Artist in Residence“-Programmen an verschiedenen Theatern – neuerdings an der Volksbühne – so etwas wie ein Lebensmittelpunkt ständig abhanden kommt. Wiederholung und Variation gliedern die Szenen – wie choreografiert. Die Kamerabewegungen sind sparsam und halten den Betrachter in einer Distanz, die immer das Verhältnis der Tänzerin zu Raum und Architektur erkennen lässt: Meg Stuart bewegt sich zwischen den vollen Regalen im Fundus eines Theaters, als ob sie aus jedem der Dinge eine andere Geschichte anspringen könnte. Sie rumort in einem Lager voller Schränke, die ihre Bewegungen kantig beschneiden.
Viele Szenen erzählen vom Wunsch sich einzurichten – eine leere Fabrikhalle zu bewohnen, in einem Bett einen Punkt der Ruhe zu finden, auf dem Hinterhof zu flirten. Dabei lässt sich nicht nur schön beobachten, wie das, was schließlich Tanz scheint, aus kleinen Abweichungen vom Alltäglichen entsteht, sondern auch, wie aus dem Unspektakulären große Emotionen generiert werden. Das erschreckend Heftige, das Stuarts Stil auszeichnet, artikuliert sich in kurzen, abrupten Motionen: Gerade das Hart-an-die-Grenze-Fahren verstärkt den Ausdruck. Und so wird „Somewhere in between“ doch noch ein Film über Meg Stuart. Erstaunlich, wie entspannt man aus der Dunkelheit des Kinoraums auf ihre Arbeit blickt, die einen im Theater so physisch angeht.
Das Bureau du cinéma der französischen Botschaft stellt Coulibeufs Filme im Arsenal und in der Play Gallery vor, anschließend tourt die Werkschau durch weitere deutsche Städte. Die Filme werden als Teil eines von französischen Denkern geprägten Diskurses präsentiert, der die Künste als Materialisationen von Philosophie beschreibt und sich gern in den Zwischenräumen bewegt. Allein der Anspruch Coulibeufs, sich mit der Überschreitung von Gattungsgrenzen zwischen Film, Literatur und Performing Arts auf ein gewagtes Terrain zu begeben, erscheint nach einem Jahrhundert fortwährender Grenzüberschreitung dann doch etwas akademisch. Seine Kunstfilme verschreiben sich ja nicht Künstlern am Beginn ihrer Karriere, sondern jeweils den Big Names eines Genres.
1999 zum Beispiel entstand „Balkan Baroque“ nach einer autobiografischen Performance von Marina Abramovic – die auf 25 Jahre flüchtiger Kunstaktionen und europäische Geschichte zurückblickte. Der Wechsel vom White Cube als Hintergrund der Performances und dem Schwarzfilm, in den sie für jedes Jahr einige Begriffe spricht, gibt dem Film eine grafische und auch dekorative Struktur.
Abramovics Arbeit war immer schon Selbstporträt – der Film fügt dem lediglich einige Nuancen hinzu. Er ist dabei überraschend stringent, selten folgt man so gespannt 25 Jahren in 63 Minuten. Vielleicht ist er fast zu professionell: Die Schockmomente, das Extreme und Raue, das Abramovic sich und ihrem Publikum zumutete, sind zu wohl gerahmt, alles scheint so von Sinn durchdrungen.
Rätselhafter und geradezu prahlerisch mit Symbolen besetzt ist dagegen der Film „Les Guerriers de la beauté“, den Coulibeuf mit dem Choreografen Jan Fabre entwickelt hat. Das Artifizielle, die surreale Komposition des Bildes und das Scheuern an Körpertabus feiern darin sich selbst. Von Hieronymus Bosch bis zu Buñuel reichen die Assoziationen und Referenzen. Tänzer und Tiere treten in einem Labyrinth aus Gewölben auf, orakelnde Erzählungen vermehren das Deutungspotenzial. Das ist ein zugleich avantgardistisches und bildungsbürgerliches Spektakel, aufwändig und opulent; ärgerlich allerdings in seinem uneingelösten Anspruch, Neues und Geheimes über den Umgang mit dem Körper herauszufinden. Man weiß aber gar nicht, ob man das Coulibeuf oder dem Choreografen Fabre anlasten soll, der einem genau damit ja gerne auf die Nerven geht.
Start der Coulibeuf-Reihe in Anwesenheit des Regisseurs heute, 21 Uhr, Arsenal bis 31.3.,www.fdk-berlin.de25.3.-30.4.: „Love Neutral“, Fotografien & Videoinstallationen von Pierre Coulibeuf in der Play Gallery, Hannoversche Str. 1, Mi.–Sa. 14–19 Uhr