: Im schwarzen Sack der Fingermänner
Etwas ist faul im Staate England: James McTeigue hat Alan Moores Graphic Novel „V wie Vendetta“ verfilmt
Es ist nur eine Comicverfilmung. Man muss sich das immer wieder sagen, um zu glauben, was Hollywood hier hat passieren lassen. Ein maskierter Terrorist, wohlgemerkt der good guy, jagt die Londoner U-Bahn und mit ihr das House of Parliament in die Luft. Im Namen der Gerechtigkeit, denn das Großbritannien der Zukunft ist ein faschistischer Staat, Menschenexperimente und Konzentrationslager inklusive. Er nennt sich V und verfügt über übermenschliche Kräfte. Auch Sprengstoffgürtel und Videobotschaften gehören ins Repertoire seiner guten Sache. An der allein kann es nicht gelegen haben und auch nicht am untadeligen Ruf der Brüder Wachowski („Matrix“), von denen das Drehbuch stammt.
Werfen wir also erst mal einen Blick in den Comic beziehungsweise die graphic novel (das Ding hat immerhin 286 Seiten). Es war im Jahr 1981, als der Autor Alan Moore mit „V for Vendetta“ begann. Seine Annahme: Im darauf folgenden Jahr gewinnt Labour die Wahlen, zieht die amerikanischen Missiles ab und bleibt dadurch vor dem Atomkrieg verschont. Leider übernimmt ein skrupelloser Diktator namens Sutler die Macht, Ähnlichkeiten mit Adolf Hitler und Margaret Thatcher waren beabsichtigt. Interessant: Schon im Jahr seines Erscheinens 1989 bewegte sich der Comic im Niemandsland zwischen der in England so beliebten kontrafaktischen Geschichtsschreibung und klassischer Science-Fiction.
Preisfrage: Ist die Zeit über Moores Szenario hinweggegangen? Oder ist „V wie Vendetta“ erst jetzt so richtig relevant?
Man meint Letzteres, wenn sich sowohl Sutler als auch V in ihren Tiraden über den „Glauben“ übertrumpfen. Sutler kommuniziert seinen Hass auf alle Zweifler über den seit George Orwells „1984“ bekannten Weg riesenhafter Monitore, und es ist eine von vielen hübschen Reminiszenzen, dass er von John Hurt gespielt wird: Der gab auch den Protagonisten in der Verfilmung von „1984“. V (die ganze Zeit unter der Maske: Hugo Weaving) bekommt das Mädchen Evey (Natalie Portman) zur Seite gestellt. Die muss sich allerhand anhören über Ideen, die „kugelsicher“ sind, und die Gewalt, die man „auch zum Guten einsetzen kann“. Bis sie ihn eines Besseren belehrt, nimmt man ihm das gern ab. Denn der verkappte Terrorist kämpft nicht nur mit der flinken Klinge eines Zorro, mit dem Rachedurst des Gefangenen von Zenda, sondern vor allem mit der Eloquenz eines Scarlett Pimpernel. „Remember, remember, the 5th of November!“ lautet der Wahlspruch des Rächers.
Am 5. November 1605 scheiterte Guy Fawkes mit seinem Versuch, das Parlament in die Luft zu sprengen. Die Briten feiern diesen Tag noch heute. Warum sie das tun? Nun, das Parlament ist ein Symbol der Demokratie. Aber es ist eben auch nur ein Gebäude. „V wie Vendetta“ feiert die Macht großer Ideale genauso wie diesen englischen Sinn für Ironie und Ambivalenz. In Zeiten, in denen jede politische Aussage ihre eigene Idiotie beinhaltet, ist das überaus heilsam. Aber Vorsicht! Gerade wer so denkt, ist ein Systemtrottel, ein intellektueller Medienfuzzi, wie er hier von Stephen Fry gespielt wird, und landet beim kleinsten Aufmucken im schwarzen Sack der Fingermänner!
Was also tun? Das glücklich vermurkste Ethos dieses Films ist zwiegespalten. Die unauflösbare Diskrepanz zwischen ewigen Werten und deren faktischer Wertlosigkeit – das ist der gegenwärtige Schmerz, den „V wie Vendetta“ mit verblüffender Intelligenz benennt. Im allgemeinen Wertechaos propagiert der Film weniger den Terrorismus als „Anarchy in the UK!“. Mehr Subversion ist im heutigen Mainstream nicht zu haben. Und tatsächlich ist es nur die glatte, dem programmatischen Individualismus zuwiderlaufende Ästhetik einer Hollywood-Comicverfilmung, die den Film auf gute Unterhaltung reduziert. Ihn wirklich zu lieben, gleicht Natalie Portmans Versuch, eine Maske zu küssen. PHILIPP BÜHLER
„V wie Vendetta“. Regie: James McTeigue. Mit Natalie Portman, Hugo Weaving u. a. USA/Großbritannien/ Deutschland 2005, 132 Minuten