: Die im Glashaus sitzen
Buchmessern (4): Eine mutige Entscheidung buchstabiert sich anders, in Ordnung geht sie aber trotzdem. Ilija Trojanow bekam am Donnerstag den Preis der Leipziger Buchmesse für seinen Roman „Der Weltensammler“
Der Unterschied zwischen dem Aufwand am Einlass und dem Ertrag hinsichtlich Unterhaltung und Wichtigkeit ist beträchtlich. Ohne Einladung oder richtigen Presseausweis gibt es kein Reinkommen in das Glashaus der Messehallen, wo am Donnerstagnachmittag die Preise der Leipziger Buchmesse verliehen werden. Die vielen Sicherheitsmänner mit ihren schwarzen Anzügen und kurz geschorenen Haaren sind unerbittlich oder verweisen aufs „Protokoll“, was immer das heißt, und machen den Eindruck, als seien sie direkt aus Clemens Meyers Die-Bronx-in-Leipzig-Roman „Als wir träumten“ entsprungen. Nur dass man für sie – anders als für Meyers Figuren – nicht einen Funken Sympathie entwickeln kann.
Einmal eingelassen fragte man sich aber: Muss das sein? Reicht es nicht, sich die Preisträger später übermitteln zu lassen, und fertig? Muss man sich wirklich die nominierten Bücher allesamt nochmal vorstellen lassen und sich gewitzte, aber verloren wirkende Robert-Gernhardt-Reime über Dichter und Dichtung als Ansprache anhören? An Sprödigkeit ließ diese Veranstaltung nichts zu wünschen übrig, die korrekte Preisverleihungsverwaltung regierte. Die Preisverkündungen an Ragni Maria Gschwend (Übersetzung), Franz Schuh (Sachbuch) und Ilija Trojanow (Belletristik) wurden zwar beklatscht, aber doch achselzuckend zur Kenntnis genommen.
Diskutiert wurde danach trotzdem, geredet werden muss ja, und einverstanden waren wohl alle mit dem Preis für Ragni Maria Gschwends Übersetzung von Antonio Morescos verschlungenem Siebzigerjahre-Politroman „Aufbrüche“ – ein Roman, der, wie Gschwend erzählte, mit io anfängt, dem italienischen Wort für „ich“, dann aber auf das Ich-Sagen komplett verzichtet, was Gschwend zu viel Anstrengungen verleitete, zumal Morescos vermeintlicher Ich-Erzähler ohne Biografie oder gar Psychologie auskommt.
Den Sachbuchpreis an Franz Schuh und seinen Essayband „Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche“ zu vergeben, das freute die Literaturredakteure, verwunderte aber die Sachbuchredakteure, „das sind nur Feuilletons!“, „stilistisch unfrisch und altbacken“, insbesondere angesichts hochkarätiger akademischer Konkurrenz von Peter von Matt bis Friedrich Wilhelm Graf. Immerhin eine Überraschung – was sich von dem Preis an Ilija Trojanow und seinen Roman „Der Weltensammler“ nicht sagen lässt. Denn in den Feuilletons konnte man sich schon informieren über die Vorlieben der Juroren. Sigrid Löffler watschte Clemens Meyer Roman in Literaturen ab, Martin Lüdke feierte in der Frankfurter Rundschau Judith Kuckarts „Kaiserstraße“, der wiederum in der FAZ verrissen wurde, und zwar von Richard Kämmerlings, der wiederum ein paar Tage später „Weltensammler“ über den grünen Klee lobte.
Mal abgesehen davon, ob es gut von den Juroren ist, die von ihnen ausgesuchten Romane im Vorfeld einer Preisverleihung zu rezensieren, war die Entscheidung für Trojanow irgendwie logisch: strategisch korrekt, denn ein historischer Roman über Abenteurer im 19. Jahrhundert geht vielleicht gar auf dem Buchmarkt (siehe Kehlmann und sein Übererfolgsroman „Die Vermessung der Welt“); literarisch eine halbwegs sichere Bank, zumindest dem schärfsten Trojanow-Konkurrenten Clemens Meyer gegenüber; und ansatzweise politisch. Erzählt Trojanow doch, wie sich da einer verwandelt und aufgeht in anderen Kulturen. Die mutigere Entscheidung, bei allen Schwächen von der fehlenden Dramaturgie bis zur nur angedeuteten Komposition, wäre der Preis für Meyer gewesen. Auf so einen wuchtigen Roman, auf so einen Stoff, der eben nicht in den vielen braven schreibenden Bürgerkindern steckt, hat man in der deutschen Gegenwartsliteratur lange warten müssen. GERRIT BARTELS