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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Lass die doch so reden“

Seine Bücher über die deutsche Sprache sind Bestseller. Das Credo des Bastian Sick: Regeln müssen seinDATIV ODER GENITIV Der Hamburger Ex-Journalist Bastian Sick ist mit seinem Bestseller „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ zu so etwas wie dem obersten deutschen Sprachwächter avanciert. Linguisten mögen sein Verständnis von Sprache nicht, dennoch sind die Bücher inzwischen Pflichtlektüre für niedersächsische Abiturienten

Bastian Sick, 44

■ wuchs in Ratekau bei Lübeck auf. Er besuchte das Leibniz-Gymnasium in Bad Schwartau, wo er 1984 Abitur machte. Nach dem Wehrdienst studierte er in Hamburg Geschichte und Romanistik.

■ 1995 ging er als Dokumentationsjournalist zum Spiegel. 2003 bekam er die Chance, bei Spiegel Online seine eigene Kolumne zu schreiben: den „Zwiebelfisch“

■ 2004 erschien sein erstes Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache“, welches im gleichen Stil wie seine Kolumnen geschrieben ist. Bastian Sick startete mehrere Tourneen, bei denen er seine Bücher vorstellte

■ 2009 veröffentlichte Sick den vierten Teil der Reihe „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ – Untertitel: „Das Allerneueste aus dem Irrgarten der deutschen Sprache“

■ Seit dem Schuljahr 2009 / 2010 steht Sicks Bestseller auf der Literaturliste für das Zentralabitur in Niedersachsen  VW

INTERVIEW VIKTORIA WEBER

taz: Herr Sick, wünschen Sie sich mehr Besuch? Die Adresse Ihres Büros steht auf Ihrer Homepage und erschien in der Hafencity-Zeitung …

Bastian Sick: Das ist ja hier nicht meine Privatwohnung, sondern mein Büro. Das ist meine Postanschrift, ich lebe ja von den Zuschriften meiner Leser.

Diese Adresse hätte ja aber auch nur eine Agenturadresse sein können und Sie selbst sitzen dann wiederum woanders.

Wir lassen hier aber auch nicht jeden rein. Um ganz ehrlich zu sein, Sie sind die erste Person, die einfach so mal geklingelt hat. Ich muss auch keine Angst vor meinen Lesern haben, da ich ein Publikum habe, das ganz wunderbar ist. Von dem, glaube ich, jeder andere Künstler träumt, so er das nicht sowieso schon hat.

Die sind nicht so dreist und klingeln einfach.

Genau, mein Publikum ist ausgesprochen kultiviert, freundlich, oft auch sehr gut aussehend. Ich bin immer ganz begeistert wenn ich durch die Reihen gehe bei einer Veranstaltung. Das war vor kurzem wieder in Rheine der Fall. 800 Menschen waren dort. Jeden Alters – oder jedes Alters, Sie können sich eine Form aussuchen, beides ist erlaubt – und die waren ganz wunderbar. Und aus Niedersachsen sind ganze Busladungen gekommen, weil ich ja jetzt in Niedersachsen auf ganz wundersame Weise zur Schullektüre erklärt worden bin. Für das Zentralabi in Niedersachsen stehe ich jetzt auf dem Lehrplan.

Ja, gratuliere! Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, der vierten Folge des Bestsellers „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“, dass Ihre Arbeit Wirkung zeigt. Wenn alle irgendwann richtig sprechen, haben Sie dann nicht Ihren Job verloren?

Ja, aber das steht nicht zu befürchten. Es werden Fehler gemacht. Aber was heißt schon Fehler, das muss man ja relativieren. Wir reden mal von Abweichungen von der in der Schule vermittelten Regel. Über den Sinn und Zweck von Regeln kann man streiten. Linguisten neigen oft dazu, Regeln zu negieren, aber ich sage: Natürlich braucht man Regeln, sonst ließe sich Sprache gar nicht erlernen. Versuchen Sie mal, Russisch zu lernen, und man sagt Ihnen, es gibt keine Regeln, finden Sie sich irgendwie zurecht. Und Sie sagen: Wieso, was, und keine Personen? Und keine Geschlechter? Und keine Zeiten? Ich will das jetzt hier lernen, ich brauche meine Tabellen, sonst kann ich mir das doch im Leben nicht merken. Deshalb, Regeln sind schon wichtig. Und keiner, der sich mit Sprache beschäftigt, würde den Sinn von Regeln grundsätzlich in Abrede stellen. Aber dass ich meinen Job dabei verliere, das steht nicht zu befürchten.

Aber nun gibt es schon vier Teile Ihres Bestsellers. Was passiert dann, wenn Ihnen nichts Neues mehr auffällt?

Ich muss ja gar nicht mal großartig suchen. Vieles fliegt mir eher zu. Ich verstehe mich auch nicht als Doktor der Sprache, der verschiedene Krankheiten heilt, sondern ich bin ein Schriftsteller. Das ist ein kreativer Beruf und es ist meine Aufgabe, die Herausforderung, der sich jeder Autor stellt, aus einem ewigen Stoff – die Sprache ist ein ewiger Stoff, genauso wie die Liebe – etwas immer wieder Neues zu schöpfen.

Ist die Jugendsprache gefährdet durch E-Mails und SMS?

Jugendsprache ist ein Phänomen, das es schon immer gegeben hat. Die Jugend muss sich sprachlich immer unterscheiden von der Generation der Eltern. Das gehört zum Großwerden dazu. Man muss sich abgrenzen, um seinen eigenen Weg zu machen. Um nachher wieder zur Herde zurückzufinden. Insofern ist eigentlich auch schon die Frage geklärt: Was passiert mit Jugendsprache? Man legt sie irgendwann ab, früher oder später legt jeder sie ab und wird erwachsen.

Also auch der blasse deutsche Junge, der seinen türkischen Slang redet, legt das wieder ab?

Ja natürlich. Das ist eine mögliche Erscheinungsform und als solche ist sie sehr kreativ. Ich finde sie zum Teil auch lustig oder klangvoll. Manches kann man natürlich auch total derb kacke scheiße daneben finden, aber anderes ist voll krass lustig.

Digga!

Ja, genau, Digga mit Doppel-G und A. Es gibt ja inzwischen auch schon mehrere Lexika der Jugendsprache, bei denen man sich fragen kann, geben die wirklich authentisch Jugendsprache wieder? Auch das ist ja schwer zu definieren, da sich dieser Jargon natürlich von Stadt zu Stadt, von Region zu Region, womöglich von Schule zu Schule unterscheidet.

Sie sagen, dass Linguisten Sie nicht mögen, weil Sie der Meinung sind, dass die Leute die Sprache ändern, und nicht die Sprache sich selbst. Wenn Sie gegen Veränderungen sind, müssten wir dann nicht heute noch alle Althochdeutsch reden?

Da werde ich häufig missverstanden. Ich bin keinesfalls gegen Veränderungen, was zum Beispiel die Aussprache oder die Aufnahme neuer Vokabeln betrifft. Es gibt nur ein paar grundsätzliche Dinge, die mir beigebracht worden sind. Wenn man Texte aus dem achtzehnten, neunzehnten Jahrhundert liest, Goethe oder Schiller, dann findet man einige Begriffe, die man heute nicht mehr kennt, und manche Formulierung erscheint einem seltsam. Aber man kann es insgesamt noch verstehen, weil die Struktur der Sprache –also wie ein Satz aufgebaut ist – im Wesentlichen erhalten ist.

Richten Sie sich, wenn es um Regeln geht, nach dem heutigen Duden oder nach dem Duden von vor 100 Jahren?

Ich habe als kulturell gebildeter Mensch gelernt: Es gilt grundsätzlich die Regel des Gastgebers. Komme ich in eine mir fremde Region und wird dort anders gesprochen, kann ich nicht als Gast sagen: Ihr seid ja wohl alle doof. Ihr könnt ja kein Deutsch. Die Unterschiede sind es ja, die das Ganze so spannend machen. Dass es eine Standardsprache gibt, ist etwas anderes. Eine Standardsprache muss es geben, damit wir uns zwischen Dresden und Baden-Baden in einer Verkehrssprache miteinander verständigen können. Meine Aufgabe als Sprachkritiker ist es ja auch nur, dafür zu sorgen, dass dieser Standard bekannt gemacht wird.

Was ist denn der Standard? Wie arbeitet Bastian Sick?

Ich recherchiere meine Geschichten so gut ich das kann. Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass ich von so vielen ernst genommen werde. Überall wo ich bin, erfahre ich Neues über Schreibweisen und mache mir Notizen. Und dann gibt es bibliothekenfüllende Werke von Sprachwissenschaftlern, die die Sprache einer bestimmten Region untersucht haben oder die Herkunft eines Wortes. Auch gibt es heute schon viele Dinge online aufzurufen, das Grimmsche Wörterbuch zum Beispiel. Da kann man eben mal gucken, wie war das denn im neunzehnten Jahrhundert. Wenn es jetzt zum Beispiel um die Pluralformen des Wortes Uhu geht. Ein Uhu, zwei? Was würden Sie sagen?

Ich würde sagen: Ein Uhu, zwei Uhus.

Genau. Da liegen Sie ganz richtig. Jedenfalls nach der heute üblichen Mehrheitsmeinung. Nun ist es aber so: Die Endung „s“ im Plural ist nicht deutsch. Wir haben sie uns hauptsächlich vom Englischen oder von anderen Fremdsprachen abgeguckt, die ihrerseits im Plural ein „s“ anhängen. Wir haben im Deutschen andere Möglichkeiten der Pluralbildung. Ein „e“ anzuhängen, ein „en“, ein „er“ oder den Hauptklang umzulauten. Aus Maus mach Mäuse. Aus Mann mach Männer. Aus Frau mach Fräuen, nein das eben nicht. Damit kann man so wunderbar spielen.

Wer ist eigentlich dieser Henry, der in Ihren Büchern auftaucht?

Henry ist eine von inzwischen mehreren Figuren, wie Sibylle, meine Nachbarin Frau Jackmann und noch so einige andere, die immer mal wieder auftauchen. Henry aber natürlich am häufigsten. Eine Hilfsfigur, die es mir damals möglich gemacht hat, eine andere Form der Erzählung einzuführen in meine Kolumnen.

Henry existiert nicht?

Dieser Henry in dieser Form natürlich nicht. Das ist eine fiktive Gestalt. Henry bin eigentlich ich.

Stimmt, das passt. Henry sagt nämlich häufig Sachen wie: Ach guck mal an, wie schlecht die reden.

Wenn man so will, sind es die zwei Seiten meines Gewissens. Es gibt den einen, der sich aufregt: Oh, die können ja alle gar nicht reden. Und das ist dann Henry, der dafür auch andere verprellt. Er legt sich grundsätzlich mit allen an. Nur ich halte treu zu ihm, weil ich nämlich die andere Seite bin, der das Ganze abmildert: Lass die doch so reden, dafür gibt es bestimmt eine Erklärung.