piwik no script img

Archiv-Artikel

Pleite für Demo zu Armenier-Völkermord

Vor einem Protestmarsch gegen die Verurteilung des Völkermords an Armeniern seilen sich immer mehr Türken ab

BERLIN taz ■ „Nimm deine Fahne, komm nach Berlin“ – mit diesem Schlachtruf fordert die türkische Bewegung „Großes Projekt 2006 – Die Lüge zum Völkermord an Armeniern“ dazu auf, Schluss zu machen mit der „armenischen Genozid-Lüge“ und „die Periode der Demut“ zu beenden. Doch nun nehmen immer mehr Organisatoren Abstand zu der Veranstaltung.

1915/1916 ermordeten türkische Soldaten bis zu eine Millionen Armenier. Bis heute erkennt die Türkei die Tat nicht als Völkermord an. „Großes Projekt 2006“ will am Samstag gegen die internationale Verurteilung des Massakers protestieren und zugleich an den Tod Talat Paschas vor 85 Jahren erinnern. Er gehörte als türkischer Innenminister zu den Organisatoren des Massakers und wurde 1921 von einem Armenier in Berlin erschossen.

Die Türkische Gemeinde zu Berlin, die die Demonstration ursprünglich beantragt hatte, distanzierte sich jetzt von der Veranstaltung. Obwohl Celal Altun, Generalsekretär der Gemeinde, viele Ansichten der Organisatoren teilt. „Der Vorwurf des Völkermordes wird von der armenischen Diaspora in die Welt gesetzt, um Propaganda gegen die Türkei zu machen“, sagt Altun. Der angebliche Genozid sei bis heute nicht bewiesen. „Wir wollen keine ideologische Diskussion, sondern eine sachliche Auseinandersetzung.“

Zu den Organisatoren gehört neben dem „Verband der Vereine zur Förderung der Ideen Atatürks“ auch die nationalistische türkische Arbeiterpartei. Deren Vorsitzender drohte den Europäern, sie sollten aufhören, die Türkei des Genozids zu bezichtigen, „wenn sie nicht wollen, dass ihre Städte in Flammen stehen“.

Wegen dieser Hetze seilten sich nach und nach weitere Vereine ab. Mahmut Askar von der Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib), wird ebenfalls nicht mitmarschieren. „Wir befürchten, dass die Veranstaltung instrumentalisiert wird“, sagt er. Denn die türkischen Nationalisten fordern, dass die Türkei nicht mehr des Völkermords an den Armeniern bezichtigt wird.

Der Atib sind eigenen Angaben zufolge über 120 Vereine angeschlossen. Der Dachverband ist wegen seines türkischen Nationalismus bekannt, daher ist es umso verwunderlicher, dass er sich von der Demonstration lossagt. „Wir wissen, dass es damals zu menschlichen Verlusten kam“, sagt Askar. „Aber auch auf türkischer Seite gab es Tote.“

Die Forderung nach der Rücknahme einer Bundestags-Resolution unterstützt Askar. Im letzten Jahr hatte der Bundestag die Türkei zum offenen Dialog über die Massaker an den Armeniern aufgefordert.

Dem von der Berliner Polizei geforderten Verbot der Demonstration gab gestern das Oberverwaltungsgericht Berlin nicht statt. Allerdings dürfen die Nationalisten nur mit Einschränkungen demonstrieren: Weder auf Transparenten oder anderen Wort- oder Schriftbeiträgen dürfen sie den Völkermord an den Armeniern eine Lüge nennen.

CIGDEM AKYOL