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Archiv-Artikel

Tag und Nacht durchgemacht

STRESS I Etwa jeder vierte Deutsche leidet unter Schlafstörungen. Die Ursache dafür sind oft die eigenen Gedanken. Forscher empfehlen, etwas gegen das Grübeln zu tun, wenn man wach liegt

Am Ende grübelt man nicht nur über seine Sorgen, sondern auch über das Schlafen an sich

VON JULIA JOHANNSEN

Eine Weisheit besagt: „Der Schlaf ist wie eine Taube – greift man nach ihr, fliegt sie davon; hält man geduldig die Hand auf, kommt sie heran.“ Laut Stressreport 2012 leidet ungefähr jeder vierte Deutsche an Schlafstörungen. Die Anzahl der von nächtlichen Schlafstörungen geplagten Arbeitnehmer stieg zwischen 2006 und 2012 von 20 auf 27 Prozent. Die meisten Menschen haben Einschlafstörungen, vor allem Frauen. Man spricht von einer Einschlafstörung, wenn man mindestens viermal in der Woche länger als 30 Minuten zum Einschlafen braucht.

Durchschlafstörungen zeichnen sich dagegen dadurch aus, dass man in der Nacht ein- oder mehrmals aufwacht und länger als eine halbe Stunde braucht, um wieder einzuschlafen. Wenn das ganze mehr als drei Monate dauert, man sich tagsüber nicht leistungsfähig fühlt und unter den Schlafstörungen leidet, dann werden die Schlafstörungen chronisch. „Jeder Zehnte leidet an behandlungsbedürftigen Schlafstörungen“, sagt Alexander Blau vom Schlafmedizinischen Zentrum der Berliner Charité.

Viele Menschen sind davon überzeugt, dass ein sofortiges Einschlafen ein positives Signal für einen guten Schlaf ist. „Weit gefehlt“, sagt Günther W. Amann-Jennson. Er ist Schlafpsychologe und Schlafcoach. „Meistens handelt es sich bei diesem Phänomen um ein chronisches Schlafdefizit.“ Die Einschlafdauer soll, laut Amann-Jennson, bei rund 15 Minuten liegen.

Ein guter Schlaf zeichnet sich durch ausreichende Tiefschlafphasen aus, die zwischen 15 und 20 Prozent der Gesamtschlaflänge betragen sollten. Dazu kommt der Traumschlaf mit 20 bis 30 Prozent und der Leichtschlaf mit 50 und 60 Prozent. Auch ein rhythmisch abwechselnder Ablauf der einzelnen Schlafstadien ist wichtig. Ein Gesamtzyklus von Leicht-, Tief- und Traumschlaf liegt bei etwa 90 Minuten.

Ein biologisch hochwertiger Schlaf zeichnet sich auch durch eine optimale Schlafeffizienz aus. Das heißt: 98 Prozent der Zeit, die man im Bett liegt, sollte man schlafend verbringen.

Schlafstörungen haben in den letzten 20 Jahren massiv zugenommen. Die Ursache ist zunehmender Leistungsdruck und Stress, ebenso beeinflussen Lärm, Lichtreize oder Elektrosmog den Schlaf.

Auch die Schlafdauer hat sich in dieser Zeit um durchschnittlich etwa eine Stunde verkürzt. Die Menschen gehen generell später schlafen, müssen aber trotzdem früh aufstehen, was zu einem Schlafdefizit führt. „Wir leben in einer schlaffeindlichen Gesellschaft“, sagt Amann-Jennson.

Gesunder Schlaf sei, wenn man spontan zur gewünschten Zeit einschläft, ohne Wecker aufwacht und sich morgens erholt fühlt. Die Qualität des Schlafes sei allerdings nicht unbedingt abhängig von seiner Dauer. Jeder Mensch braucht unterschiedlich viel Schlaf, zwischen fünf und 10 Stunden pro Nacht, im Schnitt 7,5 Stunden.

Die Wirkung von Stress auf den Schlaf ist vielfältig: Gefühle wie Angst, Sorgen, Neid, Ärger oder Hass sind die häufigste Ursache für gestörten und nicht erholsamen Schlaf. Wer zur Schlafzeit noch viele Stresshormone im Körper hat, verhindert das harmonische Einschlafen. „Chronischer Stress führt zu einer Abnahme der Schlafdauer und einer manifesten Schlafstörung“, sagt Blau. Schlafstörungen tendieren außerdem dazu, sich zu verselbstständigen: Halten die Schlafstörungen über einen längeren Zeitraum an, grübelt man nicht nur über seine Sorgen und Probleme, sondern auch über das Schlafen an sich. Das Schlafen oder der fehlende Schlaf wird zu einem weiteren Stressor und es entsteht ein Teufelskreis.

Ist der Schlaf dauerhaft nicht erholsam, fehlt die notwendige körperliche und seelische Regeneration. Die Folge sind Erschöpfungszustände bis hin zum Burn-out.

Untersuchungen zeigten, dass Menschen, die Burn-out gefährdet sind oder sich schon auf dem Weg zum Burn-out befinden, bis zu 40 Prozent weniger Tiefschlafphasen haben als gesunde Vergleichsgruppen. Schlafpsychologe Amann-Jennson empfiehlt, schon während des Tages einen Rhythmus von Bewegung, Belastung und Erholung einzuhalten. Genügend Sonnenlicht am Tage kurbelt die Produktion des Schlafhormons Melatonin an. Auch barfuß laufen verbessert den Schlaf: Ein bioelektrischer Prozess zwischen Körper und Erde soll bewirken, dass Stresshormone wie Cortisol schneller abgebaut werden können.

„Man braucht Rituale, damit man den Stress nicht mit ins Schlafzimmer nimmt“, sagt auch Blau. Für den Schlafmediziner sind ein ruhiges Schlafzimmer und frische Luft Voraussetzungen für guten Schlaf – genauso, wie auf das Handy am Bett zu verzichten.

Hilfreich sei auch: früh und leicht zu Abend essen. Sich selbst eine Zeit setzen, zu der man auf „Freizeit“ umschaltet und sich nicht mehr mit Problemen beschäftigt – auch nicht gedanklich. Und wenn es doch rumort: die Gedanken aufschreiben. Zu Bett gehen, wenn man müde ist, nicht vorher. Das Schlafzimmer lüften. Wenn man nicht gleich einschläft, eine Entspannungsübung machen.

Wer dann immer noch nicht einschlafen kann, sollte aus dem Bett in einen anderen Raum gehen und sich ablenken, bis er oder sie wieder müde ist. Halten die Schlafstörungen über einen längeren Zeitraum an, sollte man sich aber von einem Schlafmediziner oder Schlafpsychologen beraten lassen.