: Gesund geappt
SELBSTVERSUCH Die Notruf-Kurzwahltaste war gestern. Moderne Smartphones liefern die ärztliche Beratung gleich mit – zum Herunterladen
VON AMADEUS ULRICH
Für fast alles scheint es heute eine App zu geben. Die Mini-Programme für Smartphones sollen den Komfort ihrer Nutzer verbessern – und mittlerweile sogar deren Gesundheit. Die Spannbreite reicht von einfachen Impftermin-Kalendern bis hin zu Hypnose-Sitzungen, die einem angeblich beim Abnehmen helfen sollen und viel Geld kosten. Einige dieser Apps sind spaßig, doch bei anderen ist Vorsicht geboten: Einen Arztbesuch können sie nicht ersetzen. Besonders von Apps, die Krankheiten vermeintlich diagnostizieren, sollte man die Finger lassen – oder sie nicht ernst nehmen. Wir haben fünf von ihnen getestet.
Selbstdiagnose
Die App sagt, ich sterbe. Während des Tests von „was-fehlt-mir“, einer Diagnose-App, war ich erkältet, hatte typische Grippe-Symptome. Die App müsste mir also theoretisch meine Krankheit nennen können: Grippe. Ich gebe als Symptome ein: Fieber, Husten, Heiserkeit, Halsschmerzen, Kopfschmerzen und starkes Schwitzen und klicke auf Analyse.
Das Ergebnis: Angeblich habe ich mit einer 71-prozentigen Wahrscheinlichkeit SARS. Das ist eine tödliche Infektionskrankheit, ein sogenanntes schweres akutes Atemsyndrom. Ein nicht unerhebliches Symptom ist die Entzündung beider Lungenflügel sowie Atemnot. Beides hatte ich in der App nicht angegeben.
Doch ich bin anscheinend nicht nur am verrecken, sondern habe zu allem Überfluss zu 63 Prozent Masern. Meine Tuberkulosewahrscheinlichkeit liegt bei 48 Prozent, auch eine Gehirnhautentzündung und Syphilis sind mit dabei. Insgesamt werden mir 58 unterschiedliche Krankheiten angezeigt, die ich haben könnte. Na klasse. Die einzig beiden richtigen, nämlich: Erkältung und Grippe, sind recht weit abgeschlagen und laut App unwahrscheinlicher als Tuberkulose.
Somit kann die App was-fehlt-mir nur ein Scherz sein. Zum Glück steht dort der Hinweis, dass man die Ergebnisse nicht mit einer Arztdiagnose gleichsetzen dürfe. Wer zur Hypochondrie neigt und sich gern mal selbst therapiert, sollte einen Bogen um diese App machen. Aber immerhin bietet diese App ziemlich viel – dafür, dass sie nichts kostet. Fazit: nichts für Hysterische!
Rauchfrei
Diese App beruhigt mich wieder. Denn nach ihr sterbe ich nicht bald, sondern lebe sogar 34 Tage länger. 4.578 Zigaretten habe ich nicht geraucht und bin um 872 Euro reicher. Das sind laut der App „Stop-Tabac“ meine Werte, denn Anfang dieses Jahres habe ich mit dem Rauchen aufgehört.
Wer noch raucht und sich die App herunterlädt, kann sich zunächst kurz und knapp über die Vorteile informieren, den Glimmstängel fortan zu verbannen. Zum Beispiel, was die Kosten anbelangt oder natürlich die Gesundheit. „Mit dem Rauchen aufzuhören, ist eine der effizientesten Dinge, die Sie für Ihre Gesundheit tun können!“ Darunter stehen dann sehr gut aufbereitete statistische Daten. So sei etwa an 90 Prozent der Lungenkrebsfälle der Tabak schuld.
Hat man sich dann entschlossen aufzuhören, protokolliert die App jeden Tag. Sie zählt das Geld, das man spart, sagt, wie viele Tage Lebenszeit man gewinnt und auf wie viele Zigaretten man „verzichtet“ hat. Und sollte man während der Zeit Lust auf eine Kippe bekommen, sich unwohl fühlen oder sogar wieder eine rauchen, bietet die App Tipps. Es gibt sogar eine Beratungstelefonnummer. Das alles für glatte 0,00 Euro. Diese App lohnt sich. Fazit: super!
Sehtest
Ich trage seit nunmehr zwei Monaten eine Brille. Der Augenarzt hat bei mir eine leichte Kurzsichtigkeit und eine Hornhautverkrümmung festgestellt. Ob das auch die App „Sehtest“ erkennen kann? Direkt nach dem Öffnen der App kommt die Ernüchterung: Sie könne den Augenarzt nicht ersetzen, steht auf dem Bildschirm meines Smartphones.
Selbsttest Sehtest: Es erscheinen auf dem Bildschirm zu einer Seite offene Kreise, die von Mal zu Mal kleiner werden. Ich muss erkennen, wo sie geöffnet sind. Das Smartphone soll ich derweil eine Armlänge von mir entfernt halten und mit der anderen Hand ein Auge zuhalten – nicht ganz einfach und sieht ulkig aus.
Der Test ist Pipifax, obgleich ich meinen Arm weit von mir wegstrecke. Das Ergebnis, 35 Sekunden später: Ich habe auf beiden Augen eine Sehstärke von 100 Prozent. Was nicht stimmt, aber toll klingt. Dass die App-Hersteller für den Sehtest sogar Geld, respektive 0,89 Cent verlangen, ist dreist. Denn was auch immer diese App herausfindet: Wer überlegt, eine Sehtest-App zu downloaden, weil er diese Zeitung schwerlich lesen kann, sollte schnurstracks einen Augenarzt aufsuchen und sich für das Geld einen Bund Karotten gönnen. Fazit: verzichtbar!
Hypnose
Meine Stirn sinkt auf die Tischplatte, die Fingerkuppen kribbeln. „So ist es richtig“, murmelt die sonore StimNLme aus den Lautsprechern meines Smartphones; dazu Gitarrenmusik und Klaviergeklimper. Ich solle die Muskeln anspannen, und dann, nach drei Sekunden, lockerlassen und all der Stress schmelze dahin „wie das Wachs einer Kerze“. Nun solle ich – endlich– verstehen, säuselt der Sprecher, dass Zucker, Reis und Süßigkeiten Gift für mich seien und ich es verdient hätte, gesünder zu leben. So weit, so kitschig.
Die App „Weight Loss“ ist eine Hypnose-App. Zu Beginn muss man zustimmen, jegliche Risiken in Kauf zu nehmen. Elf Hypnose-Audios gibt es, nur eins ist kostenlos – dieses geht 40 Minuten lang. Jedes Mal, wenn man sich das Audio anhöre, werde der Wille stärker, gesünder zu leben, verspricht die App.
Als nächstes soll ich mir einen Eisberg vorstellen, von dem 12 Prozent über Wasser schweben; der Rest sei unter Wasser und symbolisiere mein Unterbewusstsein, das eine „Blaupause“ für ein gesünderes Leben gespeichert habe. Langsam werde ich müde. Aber vor allem wegen der abgegriffenen Metaphern.
Am Schluss fühle ich mich aber tatsächlich entspannter. Vielleicht, weil ich seit 40 Minuten mein Smartphone anglotze. Hunger habe ich trotzdem. Wer Hypnosen prinzipiell für Humbug hält, kann getrost die Finger von dieser App lassen. Aber einen Versuch ist es wert. Fazit: interessant!
Kochen
Wer nicht hypnotisiert werden will, um abzunehmen, sondern gleich gesünder kochen möchte, kann sich die App „EatSmarter!“ herunterladen. Dort gibt es 1.000 „gesunde und leichte“ Rezepte, jedes mit vielen professionell gemachten Fotos illustriert – 15.000 Bilder seien es laut Hersteller. Denn die Kochschritte der Rezepte werden jeweils mit Einzelfotos erklärt. Die Optik der App ist klasse. Man kann oben rechts nach verschiedenen Rezepten suchen, verteilt zum Beispiel nach Kosten, Kalorien oder Kategorien wie: Frühstück, Mittagessen, Abendessen.
Aber schmecken die Gerichte? Ein Selbstversuch: Gefüllte Zucchini. Auf dem Bild, sehe ich, sind alle Zutaten und Küchengeräte, die ich brauche und wie ich die Zucchini mit einem Löffel aushöhle. Darunter steht jeweils eine Erklärung. Das motiviert – schließlich soll es später so aussehen wie auf den Fotos.
Die Zubereitungszeit soll 30 Minuten dauern, ich brauche doppelt so lange. Vielleicht liegt’s an mir. Zuletzt erscheinen Nährwertinfos: 220 Kalorien. Es schmeckt, ist gesund und ich habe wohl beim Kochen mehr Kalorien verbrannt als ich jetzt zu mir nehme. Fazit: praktisch!