piwik no script img

Archiv-Artikel

Alternativ, hintergründig, überflüssig

KRISE Einst boten Stadtmagazine einen Kontrast zur bürgerlichen Kultur. Heute suchen sie verzweifelt nach neuen Nischen. Den Sprung ins Internet haben sie verpasst

Das Kapital der Magazine ist ihr Terminkalender. Ob er online kostenlos angeboten werden sollte, darüber herrscht Uneinigkeit

VON ANNE FROMM

Wie doof sind wir eigentlich?“, fragt der Kreuzer auf seiner Juni-Titelseite. Auf 14 Seiten legt die Redaktion des Leipziger Stadtmagazins alles offen, was Verlage sonst als großes Geheimnis hüten: Ausgaben für Personal, Vertrieb und Druck, Einnahmen aus Verkauf und Anzeigen. Das Resultat ist erschreckend. Zwar ist die Auflage bei 11.000 Exemplaren im Monat stabil, trotzdem hat der Kreuzer im vergangenen Jahr 40.000 Euro Verlust gemacht – und das war nur eines von vielen Minusjahren der jüngeren Geschichte.

Auch den anderen deutschen Stadtmagazinen geht es seit Jahren schlecht. Die Auflagen sinken, die Anzeigen gehen zurück. Der vergleichsweise große Berliner Tip ist in den letzten 15 Jahren von 75.000 auf 31.000 verkaufte Exemplare geschrumpft. Vor einigen Wochen hat der Berliner Verlag ihn verkauft. Die Printausgabe des deutschlandweiten Prinz wurde Ende 2012 eingestellt, kurz darauf folgte der Mannheimer Meier.

„Stadtmagazine“ meint dabei nicht die bunten, kostenlosen Partyheftchen, die auf jedem Kneipenklo ausliegen. Denen geht es, voll gestopft mit Werbung, ganz gut. Ganz anders als den Zeitschriften, die in Westdeutschland in den 70er und 80er Jahren aus Kultur- und Politgruppen entstanden sind, in Ostdeutschland nach der Wende. Erst halbprofessionelle Blättchen, später dicke Hefte, die das abdeckten, was in der bürgerlichen Tagespresse keinen Platz fand: Off-Theater, Travestieshows, feministische Themenabende. Sie verstanden sich als Gegenöffentlichkeit gegen „unsere schrecklich restaurative Gesellschaft“, wie die Hamburger Szene schrieb. Sie legten sich mit den Stadtoberen an und druckte Leserbriefe der Revolutionären Zellen ab. Das verkaufte sich gut. Reich wurden ihre Macher trotzdem nicht.

Ende der 80er Jahre entdeckten Großverlage die Stadtmagazine als Werbeträger. Damit begann der Ausverkauf: Der Jahreszeitenverlag kaufte den Prinz, der Berliner Verlag holte sich Tip und Holtzbrinck wenig später den Lokalkonkurrenten Zitty. Andere Magazine, wie Kreuzer oder die Kölner Stadtrevue, bewahrten ihre Unabhängigkeit. Sie wurden zur GmbH oder zu Stiftungen. Gerade diesen Magazinen geht es heute besonders schlecht. Sie überleben nur, weil sie regelmäßige Sonderausgaben veröffentlichen: Restaurantführer, Designheft, Kinder-Spezial. In diesem Umfeld verkaufen sich Anzeigen immer noch gut.

Zum Kreuzer-Verlag gehört außerdem eine Werbeagentur, die das Heft querfinanziert. Die restlichen Verluste fangen Mitarbeiter und Eigentümer auf. Verlagsleiter Egbert Pietsch hat vor ein paar Jahren seine Lebensversicherung aufgelöst, um den Kreuzer zu füttern. „Es ging uns nie um den finanziellen Gewinn, sondern um die publizistische Wirkung“, schreibt er in der aktuellen Ausgabe.

Die Zeiten, in denen Stadtmagazine durch ihre kritische Berichterstattung auffielen, sind jedoch längst vorbei. Seit auch die bürgerlichen Feuilletons und vor allem Blogs über Subkultur berichten, haben die Stadtmagazine ihr Alleinstellungsmerkmal verloren. Lange, gründlich recherchierte Geschichten gibt es auch immer seltener, weil es sich kaum ein freier Autor leisten kann, für so wenig Geld zu arbeiten – beim Kreuzer kommt man bei einem entsprechenden Arbeitsaufwand auf einen Stundenlohn von etwa 2 Euro.

Der Begriff der Gegenöffentlichkeit bedeutet heute nicht mehr dasselbe wie zur Anfangszeit der Stadtmagazine. Andreas Raabe, Chefredakteur vom Kreuzer, meint damit vor allem Medienvielfalt. „Der Kreuzer sucht einen anderen Zugang zu Themen als die Tagespresse und bekommt dadurch einen eigenen Sound.“ Vor allem in Leipzig tut diese Vielfalt Not: Neben der drögen Leipziger Volkszeitung gibt es keine ernst zu nehmende Lokalpresse in der Stadt.

Nur: Die Anzeigenkunden interessiert die stadtpolitische Bedeutung der Magazine wenig. Der Rückgang der Anzeigen in den letzten 15 Jahren hat dem Kreuzer schwer zu schaffen gemacht. Ende der 90er Jahre deckten überregionale Anzeigen die Hälfte des Umsatzes. Heute sind es noch 3 Prozent, die von Getränkeherstellern, Handyanbietern oder der Bahn kommen. Den Rest müssen lokale Anzeigenpartner auffüllen: der Biomarkt um die Ecke, die Kleinkunstbühne, das Theaterfestival. Aber auch die großen Kulturhäuser wie die Oper und die Konzerthalle Gewandhaus. Michael Haller, früher Journalistikprofessor in Leipzig, findet das bemerkenswert: „Die wichtigsten Anzeigenkunden der Magazine sind heute oftmals die, gegen die sie ursprünglich polemisiert haben, nämlich die institutionellen Kulturbetriebe.“

Das bestätigt auch Andreas Raabe: „Ohne die Anzeigen aus der Oper beispielsweise hätten wir ein Problem.“ Und das, obwohl der Kreuzer den großen Aufführungen deutlich weniger Platz einräumt als der Off-Kultur. „Aber da sitzen eben Leute in den Betrieben, denen Medienvielfalt wichtig ist“, sagt Raabe. Den Anzeigenrückgang spüren auch die Werbevermarkter. Robert Rischke leitet die UMM Stadtillustrierten GmbH in Berlin, ein Vermarktungsbüro, das überregionale Anzeigenkampagnen verkauft. „Früher kamen die großen Firmen auf uns zu und wollten buchen. Heute müssen wir um jede einzelne Anzeige kämpfen“, sagt Rischke. Was auch daran liegt, dass die Konkurrenz der Gratis-Partyheftchen stärker geworden ist. Ihre hohen Auflagen machen sie für Anzeigenkunden attraktiver und setzen die klassischen Stadtmagazine unter Druck.

Aus all diesen Gründen wird Onlinewerbung wichtiger – den Ausfall im Print kann sie aber damit aber nicht ausgleichen. Das liegt auch daran, dass viele Stadtmagazine es verschlafen haben, vernünftige Webseiten aufzubauen. Die meisten Magazine bieten online den Terminkalender aus dem Heft an. Aktualisiert wird er, wenn das Heft erscheint, also meist einmal im Monat. Das ist zu selten für Leute, die sich für spontan organisierte Veranstaltungen interessieren.

Seit auch die Feuilletons und Blogs über Subkultur berichten, haben Stadtmagazine ihr Alleinstellungsmerkmal verloren

Auch dem Tip fehlt bisher eine Onlinestrategie, meint Jens Lohwieser, der als Inhaber des Raufeld Verlags das Berliner Heft gerade gekauft hat. Darin sieht er den Grund für die starken Auflagenverluste. Er will so schnell wie möglich den Webauftritt umkrempeln: „Bisher stehen da eins zu eins die Inhalte aus dem Magazin. Das ist völlig veraltet“, sagt er. Lohwieser kann sich vorstellen, den Print-Terminkalender zu reduzieren und ihn online ausführlicher anzubieten. Dafür möchte er im Heft wieder mehr politische Geschichten. Im Netz könnten diese hinter einer Paywall verschwinden. Die Veranstaltungshinweise sollen hingegen kostenlos bleiben. „Die findet man auf vielen Webseiten. Wieso sollten die Leute gerade bei uns dafür bezahlen?“

Journalistikprofessor Michael Haller sieht das anders. Er glaubt, dass das Potenzial der Stadtmagazine gerade in ihren ausführlichen Veranstaltungskalendern liegt. Nur müssten die noch umfangreicher werden, mit mehr Tipps und Kulturkritiken. „Die Redakteure könnten als Themen-Scouts fungieren. Mit ihren Szenekenntnissen und -kontakten kann keine etablierte Tagespresse mithalten.“ Haller glaubt, dass viele Leser für so ein Angebot zahlen würden. Auch die Kreuzer-Chefs halten das für eine gute Idee und denken über ein kostenpflichtiges tagesaktuelles Angebot nach. Schließlich suchen drei Viertel der Nutzer ihrer Webseite nach Kulturterminen.

Ein anderer Weg aus der Krise könnte sein, die Leser mehr an dem Magazin zu beteiligen, etwa in einer Genossenschaft nach taz-Vorbild. Der Kreuzer hat gerade einen Verein gegründet, der aufwendige Recherchen finanzieren soll. Auch als der Verlag sein Eigenkapital erhöht hatte und der Kreuzer offen kommunizierte, dass die Einlage wohl nicht viel Geld abwerfen würde, waren einige Leser bereit zu investieren.

Michael Haller glaubt, dass das alles nichts nützen wird, solange die Magazine sich nicht grundlegend ändern. Aktueller müssten sie werden, wöchentlich statt monatlich erscheinen. Nur: Welcher Anzeigenkunde wirbt schon viermal im Monat, wo selbst einmal ein Problem ist?

Kreuzer-Verlagschef Egbert Pietsch sieht die Krise trotzdem gelassen. Er ist überzeugt, dass Magazinjournalismus weiterhin gefragt sein wird: Hintergründe, lange Recherchen – das sei die Chance der Stadtmagazine. Denn auch wenn es niemals große Gewinne geben wird, hängt Pietsch am Kreuzer trotz roter Zahlen, Krisen und aufgelöster Lebensversicherung. Doof ist er deswegen noch lange nicht.