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Archiv-Artikel

Die grauen Herren sind zurück

Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) muss sich dafür rechtfertigen, dass er bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung rund 200 Exmitarbeitern der Stasi nicht entschlossen genug entgegentrat

von Nina Apin

In der Sitzung des Kulturausschusses gestern ging es zeitweise zu wie kurz nach dem Mauerfall. Die CDU-Fraktion auf der linken und Linkspartei-Fraktion auf der rechten Saalseite fuhren ideologisch schweres Geschütz auf. CDU-Fraktionsmitglied Uwe Lehmann-Brauns warf Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) vor, unter einer dünnen demokratischen Schicht durch und durch „DDR-Kulturfunktionär“ geblieben zu sein. Dem Senator kam sein Parteifreund Wolfgang Brauer zu Hilfe. Allein seiner PDS-Mitgliedschaft wegen fordere man vom Senator „Unterwerfungsfloskeln“ und „rituelle Bekenntnisse“, wetterte er. Kultursenator Flierl saß da wie auf der Anklagebank und betonte mit gramzerfurchtem Gesicht seine Solidarität mit den Opfern des DDR-Unrechts und sein Bekenntnis zum demokratischen System der Bundesrepublik.

Grund für die Debatte ist nicht allein der Wahlkampf – es sind etwa 200 ehemalige Stasi-Mitarbeiter, die am Dienstag vergangener Woche eine öffentliche Podiumsdiskussion in Hohenschönhausen sprengten. Der Kultursenator und die Lichtenberger Bezirksbürgermeisterin hatten zur Debatte darüber gebeten, wie man das frühere Stasi-Sperrgebiet rings um die heutige Gedenkstätte wieder sichtbar machen könne. Wo früher eine Mauer den Komplex aus Untersuchungsgefängnis, Arbeitslager und Stasi-Dienststellen abschirmte, sollen bald vier Gedenktafeln an die ehemalige Bannmeile erinnern, so die Idee. Debattiert wurde über deren Gestaltung. Auf dem Podium saß auch der Leiter der Stasi-Gedenkstätte, Hubertus Knabe.

Schnell stellte sich heraus, dass man mit der öffentlichen Diskussion alte Seilschaften erweckt hatte: Nach Berichten von Teilnehmern gaben sich etwa 200 der 350 anwesenden Zuhörer als Exmitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu erkennen, darunter angeblich auch Mielke-Stellvertreter Werner Großmann und der letzte DDR-Stasi-Chef Wolfgang Schwanitz. Eingeladen hatte sie niemand; die Bezirksbürgermeisterin zeigte sich über das massenhafte Auftreten der MfSler genauso verblüfft wie der Rest des Podiums.

Die Stasi-Schergen traten straff organisiert und völlig ohne Unrechtsbewusstsein auf: Als das frühere Untersuchungsgefängnis als „Ort des Terrors, der Misshandlungen und des Leidens“ bezeichnet wurde, riefen die MfSler „Lügen“ und forderten lauthals die Schließung der Gedenkstätte.

Flierl berichtete im Kulturausschuss von einer „schwer erträglichen Blockbildung“. Seinem Bericht zufolge hätten die MfSler sogar die Unverfrorenheit besessen, die Existenz spezieller Wasserfolterzellen zu leugnen. Doch Gedenkstättenleiter Knabe hätte die Geschichtsverfälschung geistesgegenwärtig widerlegt, indem er das Protokoll eines ehemaligen Häftlings zitierte. Der Kultursenator selbst war nicht ganz so beherzt. Er versuchte – etwas ungeschickt – zu vermitteln. Auch die ehemaligen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit seien Zeitzeugen, die einen Teil der Perspektive ausmachten, so Flierl am Dienstag.

Dieser Satz brachte ihn auf die Anklagebank der Medien und der Parlamentarier. Alice Ströver, kulturpolitische Sprecherin der Grünen, bescheinigte dem Kultursenator, einen „politischen Riesenfehler“ gemacht zu haben und den Kadern nicht entschieden genug entgegengetreten zu sein. Mitglieder der CDU-Fraktion wandten sich in einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister. Sie warf der Linkspartei vor, ehemalige SED-Kader zu hofieren. Am weitesten ging der FDP-Abgeordnete Martin Lindner: Er bezeichnete Flierl öffentlich als „Arm der Stasi im Kultursenat“.

Und der Senator? Er bedankte sich gestern für die Möglichkeit, seine Sicht der Dinge einmal darlegen zu dürfen – und bat um Entschuldigung dafür, dass er der geballten Macht der alten Herren nicht mit mehr demokratischer Furor entgegentrat. Angesichts der jahrelangen „Observierung“, der er selbst ausgesetzt war, sei er von der Wiederkehr dieser Leute schlicht überrollt worden. Wie mag es da erst den ehemaligen Häftlingen ergangen sein?