: „Ein neues Wunder“
Die entscheidenden Fragen in der Medienpolitik lauten heute: Wer hat die Inhalte? Wer garantiert die Verbreitung? Doch die Politik hat keine Antworten, sagt Medienanstalt-Chef Norbert Schneider
Interview Steffen Grimberg
taz: Herr Schneider, im Nachklapp zur Springer-Debatte heißt es oft, die Medienaufsicht sei nicht mehr zeitgemäß. Reicht also künftig die Wettbewerbsaufsicht durch das Kartellamt?
Norbert Schneider: Die These ist ja steinalt. Interessanterweise kommt sie immer wieder, wenn sich etwas verändert. Im Kern bedeutet sie, dass man weitgehend deregulierte Medien für eine optimale Entwicklung hielte. Ich denke also eher umgekehrt: Es kommen schöne, große Zeiten auf uns zu. Freilich mit ein paar notwendigen Veränderungen.
Welchen?
Was wir heute an gesetzlichen Grundlagen haben, stammt vom Ende der 1980er-Jahre, als es eigentlich nur ein Paradigma im massenmedialen Geschäft gab – nämlich Sender und Empfänger. Doch mit diesem Paradigma wird man künftig nichts mehr voranbringen können. Wir haben eine ganz andere Ökonomie des Mediensystems – sie läuft über Pay-TV, über Werbung, und – wie wir im Moment erleben – über Finanzinvestoren.
Aber das ist doch nicht neu. Das Kabelfernsehnetz zum Beispiel ist schon lange in der Hand von Finanzinvestoren.
Ja, aber es war eine Weile Stillstand. Vor einem Jahr noch haben wir geklagt, dass dieses wunderbare Kabelnetz unter der Erde liegt und rostet. Jetzt sind quasi über Nacht die Kabelnetzbetreiber Unity & Co. die mächtigsten Player im Medienmarkt geworden, nur weil eine Tochter das Bundesliga-Signal gekauft hat. Und der bisher im Verborgenen lebende Satellitenbetreiber SES Astra tritt erstmals vor ein erstauntes Publikum und sagt, er muss jetzt auch ran – und hält, was andere schon vorher taten, die Hand auf. Und aus der Nähe grüßen DSL und IP-TV.
Aber die Idee zur so genannten Grundverschlüsselung kam doch auch von den Landesmedienanstalten.
Wir erleben ohnehin, dass alle unsere Forderungen, wenn sie denn erfüllt werden, ein paar unangenehme Nebenwirkungen haben. Wir haben gesagt: Man muss verschlüsseln. Doch damit bekommt jetzt auch das Wort Free-TV eine neue Bedeutung. Man nennt das ja auch Kollateralschäden.
Also hat die Regulierung doch versagt!
Nein, im Gegenteil: Wenn man die Regulierung nicht hätte, müsste man sie jetzt erfinden. Denn wo immer sich Medien und Kapital treffen, entsteht Macht. Die gilt es zu begrenzen. Aber die entscheidende Frage ist doch: Wo entsteht heute Macht? Früher war das ganz klar: Das war der TV-Sender. Heute ist die entscheidende Größe aber nicht mehr der Programmveranstalter. Die entscheidenden Fragen heute heißen: Wer hat die Inhalte? Und wer garantiert die Verbreitung?
Aber die Lizenz für Arena TV, mit der zum ersten Mal ein Kabelbetreiber auch Sender wird, kam doch von Ihnen, der LfM.
Wenn nichts dagegen spricht, müssen wir lizenzieren. So war es hier. Das Problem entsteht erst bei der Verbreitung. Woher kommt die Kapazität für das Signal? Im Übrigen halte ich diese Verbindung von Arena und Unity für vorübergehend. Unity will mit Arena die Digitalisierung des Kabels und damit die Zahl der Endkunden fördern. Wenn die Digitalisierung steht, braucht Unity Arena nicht mehr. Um dieses Ziel zu erreichen, nutzt Unity das wertvolle Bundesliga-Signal. Natürlich ist das eine Machtposition, die missbraucht werden kann. Doch das Medienrecht gibt uns nichts an die Hand, was das verhindern könnte.
Glauben Sie, dass da noch was passiert? Man hat doch eher den Eindruck, die Medienpolitik ist mehr oder minder abgeschafft.
Stimmt, da passiert derzeit schon bitter wenig. Ich würde mir wünschen, dass die Medienpolitik für die Politik wieder ein Thema würde. Denn jetzt muss sich der Gesetzgeber äußern. Es gibt bisher nichts zu den Transportwegen. Da brauchen wir einen grundsätzlicheren Ansatz. Und der muss zumindest erlauben zu sagen: Hier hat sich eine neue Machtkonzentration ergeben, da müssen wir prüfen. Außerdem geht es um die Entgelte. Was nimmt Arena für die Bundesliga? Da muss man drankommen als Regulierer, sonst verfehlt man die Pointe der meisten Prozesse. Bisher ist der TV-Marktanteil die einzige Kategorie, mit der Medienmacht in Deutschland gemessen werden kann. Das ist nicht mehr zeitgemäß, wie auch der Fall Springer/Pro7Sat.1 gezeigt hat. Das Wunder von Bad Neuenahr, wo die Ministerpräsidenten dieses Modell erfanden, verglüht derzeit. Wir brauchen ein neues Wunder.
Braucht es nicht auch ein Wunder bei der Medienaufsicht: nämlich ein Wunder, nach dem aus 15 regionalen Landesmedienanstalten eine bundesweite wird?
Ich könnte einer Medienaufsicht auf Bundesebene als gemeinsamer Veranstaltung der Bundesländer viel abgewinnen. Doch das ist Sache der Politik. Und, soweit ich dies sehe, die will nicht so recht. Dabei gibt es doch ein hervorragendes Beispiel: Das ZDF ist eine Anstalt aller Bundesländer – und funktioniert in dieser Hinsicht tadellos. Hier wäre also ein Modell für alles, was überregional erledigt werden muss – national, europäisch, global. Und wenn der Bund dann noch das TK-Recht in eine solche Konstruktion einbrächte, wären wir ein gutes Stück weiter.