: Das Hugh-Grant-Komplott
Wer ist schuld an der niedrigen Geburtenrate? Die Männer, sagen immer mehr Studien. Denn vielen potenziellen Vätern ist die Gründung einer Familie schlicht zu anstrengend
Deutschlands Männer hätten einen „Hugh-Grant-Komplex“, behauptet die Sachbuch-Autorin Meike Dinklage. Mit seiner Unsicherheit sich selbst und dem Leben gegenüber verkörpere der britische Schauspieler exakt das, was einen „Kinderverhinderer“ ausmache. Vom „Zeugungsstreik“ kündet ihr griffiger Buchtitel. Endlich Entlastung also für die in der Dauerkritik stehenden Frauen ohne Kinder? Sind Männer, die sich dem Kinderwunsch verweigern, die wahren Bremser bei der Familiengründung?
Schon schlagen die Herren zurück – in Gestalt von Frank Schirrmacher und Matthias Matussek. Die eigentliche Ursache für die weitgehend kinderfreie „Minimum“-Gesellschaft, so der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und sein Nachbeter vom Spiegel, liege immer noch in der Biologie – und damit bei den Frauen. Wo sonst? Das Feuilleton, das sich zum Modethema Demografie austobt und die deutsche Gebärunwilligkeit zum Thema alarmistischer Bücher und Titelgeschichten macht, verblüfft am Ende durch ein einfaches Weltbild. Nach ihren düsteren Rundumschlägen landen die Herren stets bei den Damen. Frauen seien der „soziale Kitt“, aus ganz natürlichen Gründen trügen sie die Verantwortung für „abnehmende“ Geburtenraten. Und für die ganze Malaise der Familie gleich mit. Also doch Gebärstreik statt Zeugungsstreik?
Doch die angeblich abnehmende Geburtenrate ist laut Statistik seit rund drei Jahrzehnten nahezu konstant. 1,36 Kinder gebären deutschen Frauen derzeit im Schnitt, hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung eben erst festgestellt. Allerdings sagen die Forscher deutlich sinkende Zahlen für die Zukunft voraus. Sie machen dafür gerade in Ostdeutschland eine „Krise der Kerle“ verantwortlich: Junge und gut qualifizierte Frauen wandern ab. Zurück bleiben arbeitslose und schlecht ausgebildete Männer, die als Familiengründer weitgehend ausfallen. Anderen Männern attestieren die Wissenschaftler mangelnde Belastungsfähigkeit und Risikoscheu: Noch mit Mitte 20 lasse sich die Hälfte von ihnen im Hotel Mama versorgen, gehe spät oder nie feste Bindungen ein.
Den potenziellen Vätern werde die Familiengründung zu anstrengend, resümiert ein Gutachten der Robert-Bosch-Stiftung. Die Erzeuger der Baby-Boomer konnten sich einst darauf verlassen, dass Hausfrauen ihnen die gesamte Fürsorgearbeit abnahmen. Aus der stillen Fee im Hintergrund ist mittlerweile in vielen Beziehungen eine ebenfalls berufsorientierte Partnerin geworden. Die erwartet mehr als den die Geldbörse zückenden Giropapa, der sich zu Hause auf die Rolle des Zaungastes beschränkt.
Die gestiegenen weiblichen Ansprüche, so könnte man die Zeugungsunlust männlicher Akademiker interpretieren, vermindert offenbar das Interesse der traditionellen Breadwinner an eigenem Nachwuchs. Dass die Kinderlosigkeit von Akademikerinnen deutlich gestiegen sei, ist übrigens ein Mythos und durch die Statistik nicht belegbar: Frauen mit Hochschulabschluss haben sich vor 30 Jahren sogar noch klarer für ihre Karriere und gegen den Kreißsaal entschieden als heute.
Eine Studie nach der anderen schreibt in jüngster Zeit den Männern die Verantwortung für fehlende Geburten zu. Den Anfang machten die Meinungsforscher von Forsa, die im Auftrag der Zeitschrift Eltern Männer und Frauen zwischen 18 und 49 Jahren befragten. Nur ein Fünftel der Interviewpartner nennt als Grund für ihre Kinderlosigkeit die unzureichende öffentliche Betreuung. Fast die Hälfte hingegen verzichtet auf Nachwuchs, weil der „Partner“ fehle, also der passende Mann.
Der Bosch-Untersuchung zufolge setzen Männer andere Prioritäten als Frauen. Zwei Drittel von ihnen folgen der Devise „Hauptsache Arbeit“, und räumen dem Beruf absoluten Vorrang ein. Die Schere zwischen männlichem und weiblichem Kinderwunsch geht auseinander, bestätigt auch das Statistische Bundesamt. Im europäischen Vergleich gelten deutsche Männer als hartnäckige Nesthocker, nur ihre spanischen und italienischen Geschlechtsgenossen bleiben ähnlich lange im Elternhaus. Ihr später Auszug verschiebt die Familiengründung nach hinten – oder gleich nach Ultimo. Im besten gebärfähigen Alter bleiben sie lieber große Jungen, als junge Väter zu werden, formulieren die Bevölkerungsexperten plakativ.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat nach den Ursachen der Diskrepanz zwischen Kinderwunsch und Kinderzahl gesucht. Die DIW-Studie hebt hervor, dass es für Männer äußerst wichtig ist, über ein stabiles Einkommen zu verfügen, bevor sie Vater werden. Erfolgreiche Familienpolitik müsse Unsicherheit reduzieren, folgern die Wissenschaftler und empfehlen, Arbeitgeber sollten es „nicht mit Zeitverträgen übertreiben“. Das erinnert an kirchliche Stellungnahmen, die angesichts niedriger Geburtenraten „die totale Ökonomisierung des Lebens“ geißeln. Oder es lässt an Otto Schily denken, der zum Thema Demografie im letzten Jahr eine „Wertedebatte“ forderte – „gegen egoistische und lebensfeindliche Tendenzen“. Schön, dass gegen Ende seiner Amtszeit der Anthroposoph unter der Fassade des strengen Innenpolitikers aufschien. Aber seit wann hören Personalleiter auf moralische Appelle?
Das Berlin-Institut weist zu Recht darauf hin, dass unzureichend qualifizierte Männer besonders selten eine Familie gründen. Bei den Frauen ist es genau umgekehrt: Die weibliche Unterschicht setzt mehr Kinder in die Welt. Die sozial deklassierten Kerle scheitern häufig schon auf der Suche nach einer Partnerin. Ihre Patchwork-Biografie, das einst für Frauen reservierte bunte Flickwerk aus Praktika, befristeter Arbeit, Teilzeit und Erwerbslosigkeit, führt in eine Krise der männlichen Identität. Diese Männer sind nicht mehr in der Lage, ihre klassische Rolle als Ernährer auszufüllen.
Den „Partner“, den Frauen in den Umfragen vermissen, verunsichert eine doppelte weibliche Erwartung: Er soll die Grundversorgung der Familie sicherstellen, aber auch seine Partnerin bei deren Karriere unterstützen. Die Unternehmen erwarten von ihren männlichen Angestellten, dass diese sich uneingeschränkt ihrem Beruf verpflichten. Zugleich aber werden sie gedrängt, im Privaten mehr Fürsorgeaufgaben zu übernehmen als in den seligen Zeiten der Hausfrauenehe. Das finden manche Männer offenbar so anstrengend, dass sie sich ganz gegen Nachwuchs entscheiden.
Das Ergebnis gleich Zeugungsstreik zu nennen ist sicher übertrieben. Aber auch Männer forcieren den Trend zur „Minimum“-Gesellschaft – den die Apokalyptiker Schirrmacher und Matussek letztlich den Frauen anlasten. Die Katastrophenszenarien, die die vereinten Kulturpessimisten angesichts der Geburtenraten entwerfen, passen im Übrigen verdächtig gut zu den Forderungen nach Eigenvorsorge und sozialpolitischen Kürzungen, die jenseits des Feuilletons in ihren Blättern erhoben werden.
THOMAS GESTERKAMP