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Archiv-Artikel

Ein Ökokapitalist sahnt ab

LÖHNE Alnatura steigerte den Umsatz um 18 Prozent. Statt Tarif bekommen die Mitarbeiter Yoga-Kurse. Der Chef meint, das genüge

Biomacht

Marktanteil: Bisher beträgt der Marktanteil von Bio in Deutschland nur 3,2 Prozent. Deutschlands größte Biosupermarktkette war Ende vergangenen Jahres nach Angaben des Internetmagazins Bio-Markt.info Alnatura mit 53 Filialen. An zweiter Stelle stand Denn’s Bio mit 37 Geschäften. Die einst größte Kette, Basic, lag mit 24 Niederlassungen auf Platz 3. Es gibt 18 Unternehmen, die mindestens fünf Verkaufsstellen für Biolebensmittel betreiben. Zusammen haben sie 240 Läden – das sind 46 Prozent aller Ökomärkte.

Expansion: Während immer mehr kleine, unabhängige Geschäfte aufgaben, expandierten elf dieser Filialisten auch im vergangenen Jahr und eröffneten mindestens eine weitere Niederlassung. Im Schnitt waren die neuen Märkte etwa 500 Quadratmeter groß. Der wichtigste Vorteil für die Kunden besteht darin, dass Supermärkte eine größere Auswahl von Produkten anbieten können. (jma)

AUS BERLIN JOST MAURIN

Götz Rehn eröffnet gerade die bundesweit 54. Filiale seiner Biomarktkette Alnatura. Im Bergmannviertel des Berliner Bezirks Kreuzberg. Hier wird schon lange mehrheitlich Grün gewählt, man hat Geld – ein Traumstandort für einen Ökomarkt. Unzählige Scheinwerfer tauchen den 600 Quadratmeter großen Laden in gleißendes Licht, alles ist sauber, geräumig und gediegen. Rehn spricht vor geladenen Gästen über das Wachstum der Biobranche, das gut für Mensch und Umwelt sei.

Alnatura jedenfalls floriert. Im Geschäftsjahr 2008/2009 nahm Deutschlands größter Ökofilialist 361 Millionen Euro ein – 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Über den Gewinn schweigen sich die Hessen aus, aber dass es einen gibt, ist unstrittig. Dennoch werden die Mitarbeiter oft schlechter als ihre Kollegen in konventionellen Läden bezahlt. Obwohl das 26 Jahre alte Unternehmen mit mehr als 1.300 Beschäftigten etabliert ist, akzeptiert es wie offenbar alle anderen Biohändler auch immer noch nicht die Tarifverträge mit ihren teils höheren Löhnen (die taz berichtete). Mehr als zwei Drittel des Personals im deutschen Einzelhandel werden laut Branchenverband HDE nach Tarif bezahlt. Das an der anthroposophischen Weltanschauung ausgerichtete Unternehmen Alnatura wirbt jedoch wie viele Ökofirmen u. a. damit, „fair mit unseren Partnern in Produktion und Handel“ zusammenzuarbeiten.

Rehn – 60 Jahre, weißgraue Haare unterhalb der Glatze, ruhige, tiefe Stimme, „Prof. Dr.“ auf dem Namensschild – ist Gründer, Geschäftsführer und alleiniger Eigentümer von Alnatura. „Uns war es wichtig, sehr stark den Leistungsbezug zu beachten“, antwortet der Biopatriarch in einem Interview der taz am Rande der Eröffnungsparty auf die Frage, warum er nicht nach Tarifvertrag zahlt. Junge Mitarbeiter, die besonders schnell aufsteigen, wolle Alnatura höher entlohnen, als die Tarifkonditionen es vorsähen.

Das mag sich unverfänglich anhören. Aber in Wirklichkeit verbietet natürlich kein Tarifvertrag, einen Beschäftigten höher zu bezahlen. So argumentiert auch Peter Henlein, Betriebsrat bei Basic, der drittgrößten Biosupermarktkette. Alnatura-Chef Rehn braucht die Flexibilität eben vor allem, um den Leuten weniger als Tarif zu überweisen.

33 Prozent weniger Gehalt

Der niedrigste Lohn beträgt nach seinen Angaben auf die Stunde umgerechnet 7,50 Euro. Das liegt 16 Prozent unter dem geringsten Gehalt, das die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) und der Arbeitgeberverband im Tarifvertrag für die Hauptstadt festgelegt haben. Für die anderen Gehaltsgruppen nennt Rehn lediglich Mittelwerte, die sich schwer mit den Tariflöhnen vergleichen lassen. Er wisse nicht, wie viele Beschäftigte ein Gehalt mindestens in Höhe des Tarifs bekommen, sagt der Chef.

Die Verkäuferin, die an der Kasse der Kreuzberger Filiale sitzt und sich um die Abteilung für Milchprodukte kümmert, erhält auf jeden Fall weniger: 9,73 Euro pro Stunde. Gemäß Tarifvertrag müsste sie mit ihren Berufserfahrung mindestens 12,98 Euro verdienen – also 33 Prozent mehr.

Selbst wenn man die Extraleistungen Gewinnbeteiligung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld einbezieht, geht die Alnatura-Kassiererin für die gleiche Arbeit mit rund 19 Prozent weniger Geld nach Hause als eine nach Tarif bezahlte. Immerhin: Ihre Schichtleiterin im ersten Berufsjahr verdient 2 Prozent mehr als Tarif: 12,14 Euro pro Stunde. Lehrlinge bekommen laut Rehn 200 Euro mehr im Monat als im Tarifvertrag vorgesehen. Unzufrieden wirkt auch die schlechter entlohnte Alnatura-Kassiererin nicht. „Bei dem Discounter, wo ich früher gearbeitet habe, war die Bezahlung besser. Aber das Klima war sehr unkollegial, und es gab Mobbing. Bei Alnatura nicht“, sagt sie. Gut findet die Verkäuferin außerdem das Seminarprogramm, das die Kette ihren Beschäftigten bietet. Darauf hebt auch ihr Firmenchef Rehn gern ab. „Wir haben eine Bieneninitiative. Wir haben Theatergruppen. Wir haben einen Chor. Wir haben die Yoga-Gruppe. Wir haben Winterseminare“, zählt er auf. „Das bedeutet ja alles eine Erhöhung des Gehalts.“ Sein Fazit: „Ich glaube, wir müssen uns da nichts vorwerfen lassen.“

Gewerkschafter Ulrich Dalibor ist anderer Meinung. „Keines dieser Goodys kann eine so große Differenz zum Tarifgehalt wettmachen. Das scheint mir kein fairer Kompromiss zu sein“, erklärt der Leiter der Ver.di-Bundesfachgruppe Einzelhandel. Die Tarifverträge gäben den Mitarbeitern auch einen Anspruch, den sie im Zweifelsfall vor Gericht einklagen könnten. „Was nicht vertraglich vereinbart ist, kann schnell verschlechtert oder abgeschafft werden von der Seite, die am längeren Hebel sitzt. Und das sind die Arbeitgeber.“ Außerdem gebe es auch tarifgebundene Unternehmen, die sich über das Obligatorische hinaus für ihre Mitarbeiter engagieren.

Höhere Lohnzahlungen, meint Rehn dazu, seien aber bei den aktuellen Biolebensmittelpreisen nicht möglich. Er redet dann von den vielen kleinen Ökoläden, die „aus Idealismus“ arbeiten. „Wenn man sich diese Läden anschaut, kann man nicht den Eindruck haben, dass sie sich irgendwie bereichern oder eine goldene Nase verdienen, sondern die Kunden lassen nicht mehr zu.“ Ver.di lässt dieses Argument nicht gelten, schließlich stelle sich die Biobranche mittlerweile genauso wie konventionelle Unternehmen in großen Ketten auf. Tatsächlich ist Alnatura weder klein noch unprofitabel, sondern das erfolgreichste Biohandelsunternehmen Deutschlands.

Da kommt Rehn etwas ins Schwimmen. Er antwortet nicht direkt. Stattdessen sagt er Sätze wie: „Wir machen nicht unser Unternehmen, um Gewinn zu machen, sondern um einen Gewinn an Sinn in die Welt zu bringen.“ Alnatura arbeite aus Idealismus. Der alleinige Alnatura-Gesellschafter betont, dass es nicht um Profitmaximierung gehe: „Die gesamten Erlöse bleiben im Unternehmen.“ Er bekomme natürlich ein Gehalt – wie hoch das ist, lässt er aber offen.

Doch sollen Tarifverträge nicht auch die schwächere Position der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber ausgleichen? „Der Schutz ist ja dann notwendig, wenn die Menschen schutzbedürftig sind“, meint Rehn. Bei Alnatura seien die Bedingungen aber so gut, dass die Mitarbeiter diesen Schutz nicht brauchten.

Deswegen hält er es auch nicht für nötig, einen Betriebsrat in seiner Firma zu gründen. „Wir haben ein Unternehmen mit einer sehr flachen Hierarchie“, betont der Chef und ergänzt: „Wir haben eine Kultur der Selbstverantwortung mit starken Persönlichkeiten. Und die Mitarbeiter gestalten ihr Unternehmen.“

„Wir haben eine Bieneninitiative. Wir haben einen Chor. Wir haben die Yoga-Gruppe“

Basic-Betriebsrat Henlein hat allerdings andere Erfahrungen gemacht. „So gut kann ein Unternehmen gar nicht sein, dass es keinen Betriebsrat braucht“, sagt der Arbeitnehmervertreter. Firmen wie Basic oder Alnatura hätten so viele Filialen und Mitarbeiter, dass die Unternehmensleitung ein Sprachrohr der Beschäftigten brauche, um zu wissen, was an der Basis passiere. Rehn wiederholt auf diesen Einwand hin im Wesentlichen nur, dass Alnatura ja so flache Hierarchien habe.

Betriebsräte könnten natürlich auf Ideen kommen, die dem Firmenchef überhaupt nicht passen. Etwa Tarifverträge durchzusetzen.

Genau daran arbeitet Basic-Mann Henlein gerade. Auch für das Unternehmen wäre das ein Vorteil, meint der Arbeitnehmervertreter. Schließlich würden immer mehr Biofirmen mit dem Label „fair“ werben. Fair sollten seiner Meinung nach aber nicht nur die Bedingungen etwa für Kaffeebauern in Afrika, sondern auch die Arbeitsbedingungen der Verkäufer in Deutschland sein. „Wenn wir der erste Biolebensmittelhändler wären, wo Tarifbindung erreicht würde, würde das das Image heben“, meint Henlein.

Unter den derzeitigen Bedingungen könnte die Werbung mit dem fairen Image aber auch wie ein Bumerang wirken. Ver.di-Funktionär Dalibor hält es für „einen Bruch in der Glaubwürdigkeit“, wenn Ketten wie Alnatura mit dem Attribut „fair“ werben, aber dann unter Tarif zahlten.

Zu einem Boykott der Biobranche, die ja etwa Bauern in Europa und Entwicklungsländern höhere Einkommen beschert und die Umwelt entlastet, ruft der Gewerkschafter die Verbraucher jedoch ausdrücklich nicht auf. Er hat eine andere Forderung an die Konsumenten: „Sie sollten“, sagt Dalibor, „ihre Ansprüche bezüglich fairer Arbeitsbedingungen formulieren und das dann auch den Unternehmen sagen.“